Seite - 462 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

462 Juni 1873 100 105 110 115 120 125 130 135 140 Diabelli, für den und dessen Verlag Beethoven bekanntlich die berühmten „33 Veränderungen über einen Walzer“, op.  120, schrieb, Steiner und Comp. (das große B-Dur-Trio u. a.) – Doch erscheint auch Hoffmeister in Leipzig schon 1801 mit der ersten Symphonie, 1802 mit dem Septuor op.  20 und mit der Sonate op.  22. Voll- ends Franz Schubert dankte allen guten Geistern, wenn er mit einem neuen Manuscript in der Tasche nicht weiter zu laufen brauchte als „auf den Graben“ zu Anton Diabelli. Es war die classische Musikzeit Wiens – auch in den Verlags- werken. Mozart ruhte längst in seinem vergessenen Grabe, der ehrwürdige Haydn war, hochbetagt, dem vielgeliebten jüngeren Freunde 1809 gefolgt. Beethoven starb 1827, bald nach ihm Schubert. Für Wien kam eine neue Zeit. Schon während der letzten Jahre Beethovens war Wien in den Rossini-Taumel gerathen – jetzt über- tönte die Tanzmusik von Johann Strauß dem älteren, von Lanner und Morelli mit ihren Jubelklängen alles Andere, und wenn sie je einen Moment lang pausirte, so perlten Thalberg’sche Brillantpassagen. Es war wie mit einem Zauberschlag die Scene geändert. Man hat in jenen Zeiten, und später, mehr als ein Mal das Wort zu hören bekommen: „die Firma Haslinger habe an Strauß gewonnen, was sie an Beethoven verloren“. Die Behauptung war so unsinnig wie möglich – die Firma wird am besten aus ihren Büchern zu sagen wissen, welche Goldgrube Beethovens Musik geworden, wie auch jene Schuberts. Letzterer hatte es nur mit Mühe und Protection dahin gebracht, daß sein op.  1 gedruckt wurde, – der Verleger versprach sich „wegen der Schwierigkeit der Klavierbegleitung und Unbekanntschaft des Componisten keinen Erfolg davon“. Dieses op.  1 war, wie bekannt, der „Erlkönig!“ Und eine dauernde Goldgrube wurden die Tondichtungen der großen Meister. Jene Werke Beethovens z. B., für welche die Zeitgenossen nur ein entsetztes Kopf- schütteln oder ein mitleidiges oder spöttisches Achselzucken hatten, die letzten Sonaten, die letzten Quartette werden jetzt ohne Ende begehrt, werden ohne Ende begehrt werden, wer fragt aber heute noch nach den Charmantwalzern und Isabel- len-Walzern und Tausensappermentwalzern und wie die endlosen Tanzhefte alle heißen? Aber als sie Novitäten waren, stand ihr Curs anders und hoch. Der Wiener Musikverlag feierte damals seinen Carneval! Indessen vollzog sich in Leipzig in aller Stille auch ein Umschwung. Mendels- sohn, damals in voller Jugendkraft, in voller Jugendbegeisterung wirkend, gab dem Leipziger Musikleben den glänzendsten Aufschwung; Leipzig wurde die mu- sikalische Hauptstadt Deutschlands. Eben damals, zur rechten Stunde, gründete Schumann seine „neue Zeitschrift für Musik“, welche noch dem Namen nach, aber auch nur dem Namen nach existirt („blüht“ kann man nicht mehr sagen). Es ging damals ein frischer, belebender Hauch durch das deutsche Musikleben. Je leerer, flüchtiger, leichter und leichtfertiger sich die Dinge in Wien anließen, um desto ernster nahm man es in Leipzig. Die Firma Peters „wagte“ ihre Bach-Ausga- ben – mit immensem Erfolg – Beethoven wurde neu verlegt, dazu begann lebhaf- tester Antheil und folglich lebhafteste Nachfrage nach den neuen Compositionen Mendelssohns, später auch Schumanns, welche größtentheils in Leipzig erschie- nen. Schumann hatte, angezogen durch Wiens musikalische Traditionen und, wie er sich in einem Briefe vom 5.  August 1838 an den geschätzten Wiener Musiker