Seite - 470 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

470 Juni 1873 100 105 110 115 120 125 130 135 140 welche ich möglichst oft auf bunten Titelblättern zu lesen bekomme“. Also damit der Künstler einen Namen habe und damit er einen Namen bekomme, müssen seine Arbeiten verlegt sein. Wer diesen Widerspruch zu lösen wüßte! Es ist die Geschichte vom Alles erhaschenden Windhund und stets entlaufenden Hasen, welche bisher auch noch kein Mensch ins Klare zu bringen verstanden hat. Wirklich aber wäre es der Mühe werth, eine Sammlung denkwürdiger Aus- sprüche denkwürdiger Verleger zusammenzustellen; wie wenn sich z. B. eine be- rühmte Firma von C.  M. v.  Weber dessen „Rondo in Des“ (die Aufforderung zum Tanze!!), „welches im französischen Style und sehr graciös sein soll“, als Zugabe, als „kleines Heilpflästerchen für ihre Verluste“ erbittet, für ihre Verluste beim – „Freischütz“!!! – In Gotthards Verlagscorrespondenz dürfte man leider keine Bei- träge ähnlicher Art zu obiger Sammlung finden. Hier fragt der Verleger kurz: „ist die Sache gut und schön?“ und ist sie’s, so wird sie gedruckt. Wie dabei der „Profit“ aussieht, weiß Gott – und Gotthard. Wir dürfen den trefflichen Mann ohne wei- ters einen Idealisten nennen – er hat Glauben an das Gute und Thatkraft für das Gute. Das muß und wird sich ihm, hoffen wir, lohnen. Und es ist, als sendeten ihm zum Lohne die großen Meister der Wiener Schule von ehedem „Novitäten“ aus dem Jenseits – poste restante. Da ist ein „Violinconcert“, bei dessen Composi- tion Beethoven einmal die Feder weggelegt und nicht wieder gefunden, vermuth- lich weil ihm etwas in den Weg kam, das er für wichtiger achtete. Joseph Hellmes- berger nahm voll Pietät des Meisters weggelegte Feder und schrieb das Stück zu Ende, wie wir es im vorigen Jahre auch öffentlich zu hören bekommen haben. Da ist Franz Schubert mit einer Anzahl „nachgelassener Werke“, über welche wir wohl erstaunen dürfen – von der Orchester-Ouverture, dem Opernstück, der großen Sonate bis herab zum leichtgefügten Ländler. Und es ist nicht etwa Abhub von des Meisters Tafel, was uns da geboten wird – es sind Stücke ersten Werthes darunter. Wen hätte nicht der herrliche Chor „An die Sonne“, als wir ihn singen hörten, tief ergriffen? Nummern, wie „Gondelfahrt“, „Am Flusse“, „Nachtviolen“, die „Hymnen“ nach Texten von Novalis und Anderes in den nachgelassenen Liedern zählen zu des großen Liedersängers reizendsten Gaben. Dergleichen schrieb nun Schubert bei einem gelegentlichen Besuch in einem Kloster, auf einem Adelsschlosse u. s. w. – dann ließ er das Blatt liegen und kümmerte sich nicht weiter darum. Welcher Reichthum! Wie interessant ist die im December 1817 von Schubert componirte Ouverture mit dem cisleithanischen Adagio und dem transleithanischen Allegro. Die Motive des ersteren verwendete Schubert hernach zu seiner Rosamunden-Ouverture und die ungarischen Klänge und Anklänge des anderen wirken frisch und heiter; wir haben es gerne, wenn Schubert magyarisirt und in den Schlußpassagen seine Harmonie anfängt, mit verschiedenen „Teremtete“ herumzuwerfen. Auch Chopin hat eine anmuthige Mazurka in Fis [sic] geliefert. Die alten italienischen Meister sind bei Gotthard nicht vergessen, da sind Pergolese’s herrliche „tre giorni“ [sic], Gesänge von Lotti, von A.  Scarlatti u. A. Unter den Arbeiten jüngerer, noch lebender Tonsetzer werden die Composi- tionen Julius Zellners unseren Antheil in hohem Grade erregen. Wir finden: ein vortreffliches Pianoforteconcert in Partitur und Stimmen – ihr Herren Pianisten,