Seite - 491 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

491 Juli 1873 100 105 110 115 120 125 130 135 140 strument der Ausstellung bringt mir einen ähnlichen curiosen noch compendiöse- ren Apparat aus derselben Zeit in Erinnerung, den eine meiner Tanten besaß; es war ein „Reise-Necessaire“, das auch ein „Reise-Superflu“, nämlich ein Duodez- pianino, enthielt. Die Unruhe, welche damals aller Welt im Blute steckte, äußerte sich auch im Baue der Instrumente, deren Verfertiger auf die sonderbarsten Einfälle geriethen. Man kann die ersten Jahrgänge der „Leipziger Musikzeitung“ nicht in die Hand nehmen, ohne auf Berichte über neue, seltsame Erfindungen zu gerathen, die seit- dem alle wieder vergessen und verschollen sind. Leser Jean Pauls werden sich viel- leicht erinnern, daß der Dichter, der gerne nach dem Seltsamen und Ungewöhnli- chen griff, in den „Flegeljahren“ einer Anzahl dieser neuartigen Instrumente die Ehre erwiesen hat, sie zu citiren. Unter Anderm „Rölligs Orphica“. Was war das? Man sehe das Instrument in dem mittleren Glasschrank an. Es ist ein zur Zwerg- kleinheit zusammengeschrumpftes Flügelklavier, dessen Tasten aber nicht an der gewohnten Stelle, sondern an der geradlinigen Langseite, welche man sonst an die Wand zu rücken pflegt, angebracht sind. Diese Tasten sind unglaublich schmal. Röllig scheint das Instrument in Voraussicht erfunden zu haben, daß etwa die Eichhörnchen sich zu Pianisten auszubilden Lust bekommen könnten. Ein Kla- vierinstrument, welches in seinen Umrissen an ein Mausoleum erinnern könnte, eine Arbeit des Wilhelm [sic] Rosenberg aus Wien, wurde als „Giraffe-Klavier“ in die Welt geschickt. Recht zweckmäßig, wo man mit dem Raume in der Wohnung sparen mußte. Der antikisirende Geschmack des ersten Empire, welcher unter An- derem in Toilettesachen das Dogma aufstellt: „Eine Dame müsse in vollem Putz die Proportionen, ja möglichst das Aussehen einer jonischen Säule annehmen“, ließ auch die damals sehr beliebte und verbreitete Guitarre nicht in Ruhe. Neben dem Griffbrett wurden rechts und links höchst überflüssiger Weise die antiken Lyra-Hörner angebracht – auf dem berühmten Bilde „Corinna (Madame Stael) am Vorgebirge Misenum“ hält die Dichterin ein solches Instrument in Hän- den – die Weltausstellung bringt es uns in Natura. Die „Stahlharmonika“, welche wir in traulicher Nähe des „Holz- und Strohinstrumentes“ liegen sehen, gehört auch zu den verschollenen Inventionen von anno Eins – wir haben sie bisher wieder nur aus den „Flegeljahren“ gekannt. Daneben aber – das Instrument mit der quer- liegenden bunten Walze, die sich bei näherer Betrachtung als aus ineinanderge- schobenen, verschiedenfarbigen Glasglocken zusammengesetzt zeigt, ist jener von Benjamin Franklin erfundene Tonapparat, bei welchen den schönen Seelen der Werther- und Hesperus-Zeit die „Ahnung höherer Geisterwelten aufging“, das In- strument, dem, wie Weißflog ausruft, „die Kirchgeßner himmlische Klänge ent- lockte“, das Instrument, auf welchem Jean Pauls Liane (im Titan) ätherisch und überhimmlisch ihr Abendlied säuselt; das Instrument, zu welchem, nach dem Be- richte des Klopstokianers Peter Sturz, Angelica Kauffmann in Rom Pergolese’s „Stabat“ sang und dabei „die Augen gottesdienstlich gegen Himmel hob“ – dieses Instrument ist: die Glasharmonika. Es wäre gar nicht uninteressant, das Verhält- niß der Harmonika zur kirchlichen, gewaltigen Orgel ins Auge zu fassen. Erstere verhält sich zur andern wie etwa die überreizte, krankhafte, vage Religiosität des ewig sterbefertigen Schwärmers Emanuel (im „Hesperus“) zur echten und gesun-