Seite - 492 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

492 Juli 1873 145 150 155 160 165 170 175 180 185 den. Am Ende wäre es aber doch ganz interessant, wenn der treffliche C.  F. Pohl, vielleicht der einzige Mann in Wien, der noch die Harmonika zu spielen versteht, uns einen Choral oder ein Adagio darauf vortragen wollte. Ich habe vor Jahren von dem alten würdigen Musikmäcen Ruzicka in Prag oft genug die Glasharmonika spielen hören, und kann nur versichern, daß wir dem Himmel danken können, diesen leidigen, nervenzerrüttenden, ungesund-sentimentalen Apparat, bei wel- chem vor hundert Jahren den Leuten „die Thräne der Entzückung über die Wange strömte“, in die musikalische Rumpelkammer verwiesen zu sehen. Mich für meine Person könnte man damit zum Paradies hinausmusiciren. Ich wäre in der That begierig, zu erfahren, ob es andere auch so unleidlich fanden. Unfern davon finden wir in der Ausstellung eine Anzahl Pianofortes, an wel- che sich wieder die Erinnerung großer Namen knüpft: Beethoven! Franz Schubert! Robert und Clara Schumann! Das Pianoforte Beethovens ist ein Pariser Instru- ment, ein „Erard“ vom Jahre 1803, der freilich gegen die heutigen „Erard“ etwas stark zurücksteht. Es mag uns ein ganz eigenes Gefühl ergreifen, wenn wir uns vorstellen, daß auf diesem Instrumente die Cis-moll-Sonate, die große F-moll- Sonate u. a. m. zum ersten Male unter den Fingern ihres Schöpfers erklang. Wie auf Mozarts und Haydns Klaviercompositionen haben auch auf jene Beethovens die Instrumente mit ihrer veränderten Technik (insbesondere die englischen, deren er sich in der letzten Zeit bediente) große Einwirkung geübt. Franz Schuberts Kla- vier, eine Arbeit von Alois Graf (1815–1820) ist im Aeußern zerkratzt und verstoßen, und dürfte sich in dieser Gestalt in keinem Salon zeigen – aber ein recht gutes Instrument ist es trotzdem noch immer. Sigismund Blumner spielte neulich darauf mit sichtlicher pietätvoller Ergriffenheit ein Klavierstück Schuberts und sein treff- licher Anschlag entlockte dem alten augenscheinlich stark strapezirten Klavier eine Fülle von Ton, über welche man erstaunen konnte. Welche Fülle des Schön- sten ist von diesem Instrument ausgegangen! Nicht als ob Schubert oder Beet- hoven[,] wie das nicht-componirende Publicum in der Unschuld seines Herzens glaubt, „beim Klavier componirt“ hätte – wohl aber mag man sich die Meister denken, wie sie vom Schreibtisch, vom Feuer der Arbeit glühend, aufspringen, das nasse Notenblatt aufs Pult legen, und nun die in die Notenzeichen gebannten Geister des Wohllautes zum ersten Male Klang und Stimme gewinnen. Da steht ein Kästchen, „eng, schmal und klein, vier Bretter und zwei Brettchen“ – das ist die erste Phisharmonika – wie sie deren Erfinder Anton Häckel in Wien 1821 construirte. Von Registern ist natürlich einstweilen keine Rede. Aber schon 1835 bau- te in Wien Jakob Deutschmann Instrumente dieser Art so stattlich, wie wir da eines sehen, wenn auch einstweilen noch ohne Register. Und nun unsere modernen Har- moniums? Wahrlich, hier sind überaus große Fortschritte gemacht worden. Mit größtem Interesse sehen und prüfen wir die Pianoforte von Nanette Strei- cher (1821), Conrad Graf (1830 bis 1846), von Karl Stein (1845, 1846), Ignaz Bösen- dorfer (1839), Brodmann u. s. w., deren solide Technik, treffliche Spielart, und noch immer schöner, edler, voller Ton es uns begreiflich machen, daß die Wiener In- strumente damals schnell einen Weltruf erlangten. Etwas „zusammengerichtet“ könnte insbesondere ein Streicher’sches Instrument vom Jahre 1840 sich auf seinen drei Beinen ohne Weiters in jeden Concertsaal auf den Weg machen.