Seite - 502 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

502 August 1873 75 80 85 90 95 100 105 110 115 verwerthen gewußt hat, sei hier noch erwähnt. Wir kommen, wie gesagt, auf diese Resonanzböden und auf die interessante Erfindung des Kunstpedals (durch Zachariä aus Stuttgart) weiterhin zurück. Die Pariser Instrumente bedürfen kaum noch einer besonderen Anerkennung, welche z. B. irgend einem schönen Erard, Pleyel oder Wolff alle Welt zollt, die sich insgemein auch spielen, als gleite man über weichen Sammt hin und her. Ein Erard’sches „Piano obligue“ mag als etwas Besonderes gelten. Die berühmte Firma durfte ohne Selbstüberhebung ihre Instrumente „hors concours“ stellen. Ein schö- nes Pianino von Martin aus Toulouse sei noch insbesondere genannt. Ueberraschend waren für uns die vortrefflichen Instrumente – Pianofortes und Pianinos – von Bilberg und J.  G. Malmsjo aus Gothenburg in Schweden und kaum weniger überraschend die Pianofortes vom entgegengesetzten Ende Euro- pa’s, die Instrumente von Bermareggi [sic] y Comp. in Barcelona. Diese letztere Fabrik in den Calles de S.  Olegario y Tapias beschäftigt 150 Arbeiter, die sich in 42 Sectionen theilen, wie denn alle von dort ausgehenden Instrumente mit Theilung der Arbeit verfertigt werden; die Zahl beläuft sich durchschnittlich auf jährlich 500 Pianofortes. Es ist sonach ein ganz großartig zu nennendes Etablissement. Nun hat aber der spanische Pianofortebauer noch mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen, die ihm anderwärts erspart bleiben. Dahin gehört vor Allem der kli- matische Einfluß Spaniens selbst, der Antillen, wohin ein starker Export solcher Instrumente stattfindet, u. s. w. Das Holz muß, um diesem Einflusse, insbesondere den Wirkungen der schnell wechselnden Temperatur widerstehen zu können, einem jahrelangen Trocknungsproceß unterzogen werden, für welchen natürlich die Fabrik in Barcelona die umfassendsten Anstalten besitzt. Rußland ist durch seine Klaviere eben auch vorzüglich vertreten. Die Namen Schröder, Becker u. A. haben sich guten Ruf erworben. Hier war es vorzüglich der Pianist Sigismund Blumner, dessen feurige und energische Spielart auf diesen In- strumenten vortrefflich zur Geltung kam. Die Industrie des Pianofortebaues war in Rußland von jeher eine ziemlich bedeutende. Man möge sich erinnern, daß renommirte Pianoforte-Virtuosen ihr Glück in Rußland suchten und fanden, wie Adolf Henselt, Alexander Dreyschock, Anton Rubinstein, Nikolaus Rubinstein, und schon in der vorhergehenden Generation hatte der geniale John Field lange Zeit pädagogisch große Einwirkung gehabt und vor ihm erst wieder Clementi, der Vater des Brillantspieles. In den zwanziger Jahren war Tischner der renommirteste Pianofortebauer in St.  Petersburg, nach ihm Wirth, der als Orgelbauer anfing, als Pianofortebauer aber großen Ruf erwarb, so daß seine Instrumente bald eine noch größere Verbreitung fanden, als jene Tischners. Die Firmen, welche wir oben ge- nannt, erfreuen sich zur Zeit besonderer Gunst. J.  Becker beschäftigt dermal gegen 100 Arbeiter und liefert jährlich etwa 300 Instrumente. Die Concertvirtuosen in Rußland greifen nach ihnen mit Vorliebe. Sie haben eine eigenthümliche Con- struction, die Saiten sind nämlich an langen, durch den Stimmstock gehenden Wirbeln unterhalb des letzteren befestigt, der Hammer schlägt somit fest gegen den Steg; die Wirkung ist ein eigen kräftiger Ton – bei sämmtlichen oberstimmi- gen Instrumenten schlägt der Hammer die Saiten zum Stege ab, – eine erhöhte Tragkraft des Tones ist die Folge. Die unterstimmigen, übersaitigen Flügel sind in