Seite - 505 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

505 August 1873 210 215 220 225 230 235 240 245 250 und folglich die Holzfaser des Bodens mit ihnen. Das Pianoforte spannt mit seiner Zahl gewaltiger Metallsaiten ganz anders, letztere machen zudem Longitudinal- schwingungen. Diese Momente darf man schwerlich außer Acht lassen. Je glän- zender sich aber die Klaviere mit dem „Violin-Resonanzboden“ bewähren werden, um desto mehr soll es uns freuen. Dem verdienstvollen Erfinder aber sichern sie auf jeden Fall ein Ehrengedächtniß! Die zweite Erfindung von Wichtigkeit ist das Kunstpedal von Friedrich [sic] Zachariä. Mit dem sogenannten „Pedalflügel“, für den Schumann bekanntlich eine Serie ausgezeichnet schöner Canons schrieb und den er (wunderlich genug) als Vorbereitungsinstrument für die Orgel, die man doch nur auf der Orgel behan- deln lernen kann, angesehen wissen wollte – mit diesem wenig praktischen und darum schon wieder verschollenen Instrument hat Zachariä’s Erfindung nichts gemein. Sie besteht vielmehr darin, daß man die Dämpfung mit Hilfe von vier Pedaltritten entweder wie bisher im Ganzen oder aber theilweise, partieweise, ja durch sinnreichen Mechanismus in mannigfach combinirten Gruppen aufheben kann. Für das Pedal, dieses wichtige Effectmittel, beginnt damit eine neue Aera. Will z. B. ein Componist einen tiefen Ton als liegenden Baß oder Orgelpunkt forttönen lassen, in den hohen Octaven aber z. B. mit beiden Händen rapide Sex- ten- oder Terzenläufe oder Accordfolgen ausführen, so läßt er gehobenen Pedals den Baß forttönen, während jene rapiden Gänge mit Dämpfung ganz klar und rein herauskommen. Oder umgekehrt: Accorde sollen in höherer Lage durch die gehobene Dämpfung das eigenthümlich Schwebende bekommen, während Baß- figuren mit Dämpfung, die sonst ein undeutlich Gesumme und Gebrause würden, ganz deutlich zu Gehör gebracht werden. Der Anfang der Sonate von Beethoven, op.  27, Nr.  1 giebt dafür ein treffliches Beispiel. Ja, man kann bis auf ganz kleine Dimensionen nuanciren, z. B. im Adagio der Sonate pathétique, Tact 37 bis 50, die Oberstimme mit Dämpfung, die begleitenden Triolenaccorde ohne Dämpfung, die Baßfigur mit Dämpfung spielen. Die Wirkung ist, wie wir uns überzeugt haben, vorzüglich. So ist es ein frappant schöner Effect, wenn man die oberen Octaven dämpft, bei den unteren die Dämpfung hebt und nur in der oberen Region spielt – die analogen, dämpfungfreien Töne vibriren dann mit und geben den angeschlagenen einen ganz eigenen Schmelz und Schimmer. Um dem Pedal diese verschiedenen Effecte abzugewinnen, bedarf es allerdings genauer Vertraut- heit mit den Combinationen der Mechanik und den ihnen entsprechenden Trit- ten. Mit etwas Studium und Uebung wird aber auch diese Schwierigkeit zu über- winden sein. Der Erfinder hat in einer eigenen „Kunstpedalschule“ Alles aufs klarste dargelegt – zum Texte gehört ein Band Tabellen und Musikbeispiele. Die Besorgniß, als würden „classische Compositionen“ durch das Kunstpedal „ent- stellt“, ist ohne jeden Grund. Allerdings sehen in den von Zachariä gegebenen Musikbeispielen die Fragmente aus Beethoven, Chopin, Mendelssohn, Weber u. s. w., wie sie, um die Anwendung des Kunstpedals deutlich zu machen, in ver- schiedener Notengröße gedruckt sind, fremdartig und befremdend aus. Aber es sind eben nur Andeutungen, wie das Kunstpedal zu brauchen ist, dessen Anwen- dung anderweitig ganz dem Geschmack und der Einsicht des Spielers überlassen bleiben und dem zuliebe man nicht nöthig haben wird, etwa neue „Beethoven-Aus-