Seite - 508 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

508 September 1873 20 25 30 35 40 45 50 55 60 Accompagnement meine Wenigkeit zur Verfügung. Wir packten also etwas Beet- hoven, etwas Bach, Raffs schöne Cavatine, Ernsts Elegie und Sonstiges ein und machten uns auf den Weg. Mit größter Bereitwilligkeit wurden uns die Vitrinen geöffnet – die Klaviere öffneten sich von selbst – und da Junck, wie ich hier nicht verschweigen darf, ganz vortrefflich spielte und Geigenspiel in der Ausstellung, wie gesagt, etwas „Unerhörtes“ ist, sah er sich bald von einem überaus zahlreichen und sehr dankbaren Publicum umringt. Zuerst holten wir Fürst Stourdza’s nach einem neuen Princip construirte Gei- geninstrumente heraus. Nicht wenig war gesagt worden über die außerordentliche Klangfülle u. s. w. Vorläufig, noch vor dem Hören, wurde der Schönheitssinn durch die seltsame Mißgestalt der Instrumente recht unangenehm berührt. Die Geige, wie wir sie kennen, ist eines der schönstgeformten Instrumente. Schlank und kräftig zugleich, von feinen Umrissen, ihre leichte Wölbung an Decke und Boden, die zierlichen F-Löcher, der Steg mit feinen arabeskenhaften Einschnitten, dessen Form, wie Zamminer sagt, „nur ein Spiel der Laune zu sein scheint, aber selbst in den kleinsten Einzelnheiten nicht ohne Schaden aufgegeben werden könnte“ – alles dieses macht die Violine zu einem wahrhaft edlen Gebilde – zur höchsten, idealsten Ausbildung einer Form, deren rohe Vorstufen man in der Aus- stellung an den Rebabs und Irbabs und Rebecs und Erbabs und Nagrat und Saroh der Orientalen bis herab zu dem jämmerlichen Ravanastron der Indier und Chine- sen studiren kann – und die alten italienischen Maler, denen es doch wahrlich an Schönheitssinn nicht fehlte, haben sehr wohl gewußt, was sie thun, wenn sie ihren Musikengeln Geigen in die Hände gaben, ungeachtet Frau von Genlis irgendwo in ihren zahllosen Schriften (ich glaube, in den „souvenirs de Félicie“) behauptet, „das einzige Instrument, welches man den Engeln in die Hände zu legen gewagt, sei die Harfe“ (sie selbst war eine geschickte Harfenspielerin!). Hätten aber Fiesole, Perugino u. s. w. die neuen Stourdza-Geigen gekannt, so wären letztere sicher nicht in das (gemalte) Himmelreich eingegangen. Man meint im ersten Moment einen fabelhaft geformten Seefisch aus der Familie Raja oder sonst etwas dergleichen zu erblicken. Der Grundgedanke der gehofften Verbesserung beruht darauf, daß der Schall- körper der Geige möglichst der Ellipse genähert ist. Die beiden Hälften des In- strumentes rechts und links neben den Saiten sind ungleich, die linke Seite sieht wie ungeheuer geschwollen und das ganze Instrument ganz seltsam verschoben und aus Rand und Band gebracht aus. Aber möge es aussehen, wie es will, ließe Spielweise und Schönheit und Fülle des Tones wirklich einen so bedeutenden Fort- schritt erkennen! Leider wurden wir, nachdem wir über das, was wir gesehen, einigermaßen entsetzt waren, von dem, was wir hörten, nicht übermäßig erbaut. Wir fanden den Geigenton zwar stark genug, aber rauh, dumpf, schnarrig, einer Viola ähnelnd, während die Viola selbst wie ein mittelmäßiges Violoncell klang. Als mein geigender Freund darauf eine Violine von Zach zur Hand nahm und den ersten Streich that, und ich wieder den hellen, klaren, silbernen, singenden Gei- genton hörte, athmete ich ordentlich auf. Obendrein genirt die seltsame Mißform des schiefgedrückten Schallkastens in der freien Bogenführung. Ich glaube nicht, daß die Stourdza-Geige dazu berufen ist, mehr zu sein als eine fantaisie d’amateur,