Seite - 551 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

551 Dezember 1873 100 105 110 115 120 125 130 135 140 in sehr wohlfeilen Wundern Alles. Der brave, treue Scherasmin Wielands ist zum Clown des altenglischen Theaters geworden, dem aber leider Geist und Witz völlig abhanden gekommen, der nicht einmal einen ordentlichen Spaß fertig zu kriegen weiß. Für Oberon und seine Elfenschaar hat natürlich Shakespeare’s „Sommer- nachtstraum“ die Farben hergeliehen – die Dichtung, an welcher die englischen Elfen ihre Habeas-Corpus-Acte besitzen. Aber Planché geht auch mit diesem Vorbilde um, wie er mit dem Orient umgeht, mit allerlei entlehntem Trödel putzt er bestens, aber ganz äußerlich auf, nur daß er nach Art des servum imitatorum – – sein Muster noch überbietet; wenn z. B. Shakespeare’s Puk von sich sagt, er fliege „wie des Tartaren Pfeil“, so findet Planché dies noch viel zu langsam, – bei ihm befiehlt Oberon dem Diener, einen Auftrag auszurichten, „ehe der Hauch erkaltet, der dir’s befahl!“ Hier ist die Geschwindigkeit wirklich Hexerei und mehr als Hexerei. Wir in Deutschland haben, wenn wir die Namen Oberon und Huon zusam- men nennen, ein ganz anderes Bild in Gedanken, wir denken an Wieland, dessen den französischen Fabliaux entlehnter Elfenkönig freilich eben auch nicht der echte und gerechte ist. Denn dieser Oberon oder eigentlich Auberon ist (wie im Französischen das al leicht zu au wird – albergo = auberge, Albinus = Aubin, Altodunum = Autun u. s. w.) eigentlich Alberon, der Groß-Elfe, Groß-Alf, des be- rüchtigten „Alp“ leiblicher Vetter und niemand Anderer als der Zwerg Alberich, den Dietrich von Bern fing, jener Alberich, der in Wagners „Rheingold“ sich in seiner unliebenswürdigen Originalgestalt zeigt. Darum wird Oberon bei Wieland so oft als „Zwerg“ bezeichnet, obschon der Dichter schwerlich den eigentlichen Grund dieser Benennung kannte. Man wird Wielands Rittergedicht noch heute mit Vergnügen lesen können, aber Planché’s „Oberon“ ist vielleicht das elendeste Opernbuch, welches existirt, und es wäre der Mühe gar nicht werth gewesen, auf die längst bekannte Arbeit hier näher einzugehen, hätte der Autor nicht bisher das Glück gehabt, daß ihm noch niemand auf die Finger gesehen und daß die wahrhaft schmähliche Englisirung der Dichtung Wielands noch nie nach Verdienst beleuchtet wurde. Planché hat diese Schonung der Partitur Webers zu danken, über welche man sein Machwerk vergißt und über die eben so viel Gutes zu sagen ist als von der Textdichtung Schlimmes. Ja, wir fühlen uns fast versucht, Planché für sein ungeschickt ein- geflicktes „Meermädchenlied“ (in dessen Versen er übrigens wirklich eine An- wandlung von Poesie hat) zu danken, wenn wir erwägen, wie Weber daraus eines der bezauberndsten Tonstücke gemacht, die irgend existiren, dem in der That von seiner Art nichts Aehnliches entgegenzustellen ist – ebenso der Chor der Elemen- targeister, Rezia’s große Scene u. s. w. Die Mißgriffe des Poeten werden zu eben so vielen Triumphen des Musikers. Solche Zaubertöne, wie Weber damit seine „Elfen“ ankündigt, hat man früher noch nie vernommen. Wie glücklich geben die verwertheten, wirklich dem Orient entstammenden Melodien der Haremswächter, des letzten tollen Tanzes, den Localton! Ein höchst reizendes kleines Landschaftsbild ist dem Duett zwischen Scherasmin und Fatime episodisch eingefügt – die Schilderung der Landschaft am Bendemir. (Das Text- buch sagt: „Bund Emir!“) Wie echt und direct aus dem Orient scheint Fatime’s