Seite - 552 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

552 Dezember 1873 145 150 155 160 165 170 175 180 185 Romanze und ist doch ganz Webers. Aber wir wollen auch keineswegs übersehen, daß diese brillante Partitur einzelne entschieden schwächere Partien hat. Huon ist weniger Huon als der Tenor Braham und die Lustigkeit des Schlußallegro des Duetts zwischen Scherasmin und Fatime schlägt entschieden in Trivialität um, in welcher man den feinen Componisten des „Abu Hassan“ nicht wieder erkennt. Diese kleinen Sonnenflecken können eben den Glanz des Ganzen nicht verdunkeln. Was soll man zur Ouverture sagen, dem brillantesten aller Orchesterstücke? Was zum ersten Elfenchor? Oder zum Quartett im zweiten Act? Oder zum Chor der Elementargeister? Wo wir hinschauen: Schönheit neben Schönheit! Diese Musik ist epochemachend geworden, wie Mendelssohn und Marschner selbst ge- wiß zugeben würden. Recht eigen berührte uns diesmal die merkwürdige Haltung des Publicums. Es sah aus, als hätten wir es nicht mit einem Werke zu thun, über welches die Acten längst geschlossen sind, nicht mit einem Meister, der als Stern erster Größe am Himmel deutscher Musik glänzt, und mit dessen Schwanengesang, sondern mit einem armen Anfänger, über dessen Talent und „Erstlingswerk“ wir erst noch rettend oder verwerfend zu entscheiden haben. Das bessere Concertpublicum hat doch noch Antheil, Interesse für anerkannte Werke, das Opernpublicum aber ist ein launischer Despot, der Gnade und Ungnade nach augenblicklicher Stimmung und Verstimmung austheilt. Geht es aber so fort, daß wir Alles veraltet oder abschmeckend finden, dessen Partitur nicht eben erst zur Noth trocken geworden, so werden wir demnächst auf Gounod, Thomas und ähnliche Herrlichkeiten redu- cirt und man wird Oper und Opernbühne aus der Reihe der Kunstanstalten strei- chen und sie etwa mit dem Reitercircus in eine Classe setzen müssen. Arme Operncomponisten, „was plagt ihr armen Thoren viel zu solchem Zweck die hol- den Musen?!“ – – Einfach und anspruchslos nach außen, aber Inhalt ersten Werthes bringend war die vom Wiener Cäcilien-Verein in der k. k. Hofpfarrkirche zu St. Michael veranstaltete Festfeier – Vorträge älterer Kirchenmusik. Die Wirkung auf die doch am Ende, was den Grad musikalischer Bildung betrifft, sehr gemischte Hörer- schaft, von der sicher nicht allzu viele etwa musikalische Archäologie getrieben haben mögen, war eine ganz merkwürdige – die Stimmung war geradezu eine andächtige – die echte Kirchenmusik rief eine ganz andere Wirkung hervor, als manche andere Musica sacra machen kann, welche man füglich eine Musica sacra in partibus infidelium nennen könnte. Dem Cäcilien-Verein machen wir zu dem überraschenden Fortschritt in seinen Leistungen seit vorigem Jahre unseren auf- richtigen Glückwunsch. Neben dem Babelthurm unserer modernen Musikzustän- de thun solche Tempel reiner Kunst noth. Mit Muth denn weiter, vorwärts und höher! Ich habe fast gejubelt, als mir auf dem Programm sofort die Namen Fresco- baldi und Josquin de Prés entgegendufteten. Die „Passacaglia“ des ersteren, treff- lich auf der Orgel von Herrn Dr. Hausleithner vorgetragen, wird manchem Hörer einleuchtend gemacht haben, daß ohne Frescobaldi kein Bach geworden wäre, ja ohne die „Passacaglia“ des großen römischen Organisten nicht die „Passacaglia“ des großen Thomaner-Cantors. Ueber die Art der Registrirung empfange Dr.  Hausleithner unser besonderes Compliment. Die Motette „Tu solus facis“