Seite - 565 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

565 Dezember 1873 150 155 160 165 170 175 180 185 190 Gindele) und Männerchor aufgenommen. Ein geistvoller Zug darin ist uns be- sonders aufgefallen: während Schubert den Chor immerfort echoartig der Solo- stimme antworten läßt, unterbricht er bei den Worten: „sucht’ ein Weiser nah und ferne Menschen einst mit der Laterne“ diesen Wechselgesang und läßt das gelehr- te Citat von den Bässen intoniren. Welche unbeschreiblich liebliche Melodie aber, mit welcher der Alt darnach wieder einsetzt: „wie viel selt’ner denn als Gold“ u. s. w. An Zuleika’s „ach, um deine feuchten Schwingen“, nach Schuberts Compo- sition und schön gesungen von Frau Ehnn, erfreuten wir uns sehr. So schön Men- delssohns Lied über denselben Text ist – an Schubert reicht es nicht, die Leiden- schaftlichkeit ist dort äußerlicher, geräuschvoller, während Schubert bei aller Glut über das Ganze einen wundersam zarten, mädchenhaften Zug gezaubert hat, der uns Zuleika förmlich vor Augen stellt. Spaßhaft ist es, daß ein sonst sehr tüchtiger Aesthetiker dem guten Schubert kürzlich ein Compliment zu machen meinte, wenn er sagte: „diese Musik reiche beinahe an den Zauber der Verse Goethe’s“. Aber diese Verse sind gar nicht von Goethe, sondern von einer Dame aus Offen- bach, die den alten Dichterfürsten anzuleikirte und welcher er die Ehre anthat, ihre zwei Zuleika-Gedichte in seinen westöstlichen Divan aufzunehmen. Das Concert, mit welchem wir unsern Bericht für diesmal schließen, ist unser letztes, doch unser geringstes nicht – although our last not least – der „erste Gesell- schaftsabend“ des Orchestervereines der Gesellschaft der Musikfreunde. Die köstliche Ouverture „die Najaden“ von William Bennet-Sterndale gefiel außer ordentlich – mir persönlich zu großer Beruhigung. Denn, wie ich bekennen muß, ich hatte mir vor Jahr und Tag erlaubt, Herrn Director Friedrich Heßler, den Leiter der Productionen, auf dieses hochpoetische, ganz unbegreiflicher Weise überall völlig bei Seite gelegte Werk aufmerksam zu machen. Hätte die Ouverture kalt gelassen, so würden mich die Herren nach Recht und Gerechtigkeit mit Ahi- tophel, dem Rathgeber Absalons, in Eine Classe gesetzt haben. Unter den zahl- reichen Compositionen, zu welchen Mendelssohn mit seinen Concertouverturen Anregung gegeben, ist diese vielleicht die schönste – musikalisch äußerst anzie- hend und ihrem Titel in den reizendsten Tonmalereien Rechnung tragend – das rauscht und plätschert und glitzert und tropft und stürmt dann wieder in Katarak- ten und beruhigt sich hinwiederum zur Fläche des schlummernden See’s, – inte- ressant bis zur letzten Note, obschon die Composition ihrem Schöpfer etwas in die Breite gegangen. In einer zweiten Ouverture ähnlicher Art, „die Waldnymphe“, hat Bennet jene frühere nicht wieder erreicht. Der Ouverture folgte Beethovens Concert in G, – vielleicht sein schwierigstes, schwerer als das allbekannte in Es. Frl. Lucile Tolomei, eine Schülerin Professor Epsteins, feierte damit einen förmlichen Triumph. Die junge Dame hat uns wirklich entzückt – eine solche Feinheit und Noblesse des Vortrags, dazu eine so sichere Virtuosität, ein spielendes Ueberwin- den der größten Schwierigkeiten mußte freudigst überraschen. Kaum hat uns die- se herrliche Tondichtung Beethovens (sicher das originellste und poetischeste aller Klavierconcerte) je höheren Genuß gewährt, – sie ist aber auch mit dem weh- müthigen, träumerischen Monolog des Pianoforte im Andantesatz, den die energi- schen Accente des Orchesters immer wieder wie vom Schicksale erlassene mandata sine clausula unterbrechen, mit dem keck humoristischen Rondo, einzig in ihrer