Seite - 568 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

568 Dezember 1873 25 30 35 40 45 50 55 60 65 entschiedene Erfolg – nachdem noch nicht lange vorher ein Musikverleger einmal jemanden gefragt: „hat denn der Schumann wirklich Talent?“ – dieser Erfolg muß für den Componisten der „Peri“ eine wahre Seelenstärkung gewesen sein und so dachte er denn, jahrelang später, daran, der ersten „Peri“ eine zweite nach- zusenden. Im August 1851 schrieb er an seinen Freund und Mitarbeiter an der „Neuen Zeitschrift für Musik“ E.  Klitzsch in Zwickau: „Auch eine kleine musi- kalische Aufführung hatten wir im vorigen Monat – es ist ein Mährchen, der Rose Pilgerfahrt, eines jungen Chemnitzer Poeten, Namens Horn, das ich für Solostimmen, Chor und Pianoforte componirt, in Form und Ausdruck etwas der Peri verwandt, das Ganze nur mehr ins Dörfliche, Deutsche, gezogen; es hat einen sehr freundlichen Eindruck gemacht auf die Hörer.“ Aber von 1843 bis 1851 hatten sich die Zeiten geändert. Einerseits war Schumann jetzt eine unantastbare Autorität geworden, sein Name wurde meist mit Mendelssohn zusammen ge- nannt, wie man von Bach und Händel, Mozart und Haydn redet – andererseits aber lag über Schumanns Schaffen bereits das unheimliche Glutlicht eines düste- ren Abendroth, welches nur zu bald völliger Nacht weichen sollte. In demselben Jahre begann er geistliche Musik zu schreiben, was sein Biograph Wasielewsky höchst komischer Weise als ein Symptom von „Schwäche der Urtheilskraft“ ver- steht. Nun – „Schwäche der Urtheilskraft“ zeigt sich in der pilgernden Rose wahrhaftig nicht – wohl aber drückt auf einzelne Partien etwas wie eine fühlbare geistige Ermüdung; gleich daneben stehen indessen Schönheiten ersten Werthes und zieht man aus dem Ganzen die Bilanz, so wird man der Tondichtung zwar gegen die Vorläuferin, die „Peri“, den merklich geringeren Rang anweisen, aber trotzdem wahren poetischen Zauber und echt poetische Wirkung zugestehen – was wohl wesentlich auf Rechnung Schumanns kommt, denn der Text gehört, abgesehen von den hübschen Versen und den geschickt herbeigeführten, für den Componisten dankbaren Momenten, zu jener übersüß-romantischen Poesie, wie sie vor einem Vierteljahrhundert auf den Putztischen und Salontischchen in zier- lichen Duodezbüchelchen mit Goldschnitt und Farbendrucktiteln herumlag. Ja, einzelne Nummern der Composition Schumanns, wie die Scene des Leichenzugs, wirken ergreifender, manche, wie der etwas verfeinerte Teniers des Fest- und Hochzeitchores, wirken frischer, anheimelnder als irgend etwas in der in lauter orientalisirenden Schmelzfarben und exotischen Tönen gemalten „Peri“. Diesen Eindruck hat uns das seit Jahren nicht gehörte Werk wieder gemacht, als wir es Montag im Hofoperntheater in dem zum Vortheile des Pensionsinstitutes ver- anstalteten Concerte hörten. Man darf übrigens, wenn man die „Rose“ mit der „Peri“ zusammenhalten will, nicht vergessen, daß die letztere gleich vom Hause aus als großes, oratorienartiges Werk mit Orchester angelegt war, während bei dem späteren Werke Schumann anfänglich nur an das häusliche Klavier und an häusliche Aufführung dachte und erst nachträglich, da er ganz richtig einsah, daß seine Composition weit über diesen engen Rahmen hinausgewachsen sei, sich zur Orchestrirung entschloß. Der sogenannte „Klavierauszug“ ist daher, wie das kundige Auge an der Behandlung des Klavierpartes auch erkennen wird, das eigentliche Original – und in der Orchesterpartie kommen einzelne kleine Ab- weichungen vor.