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92 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant
zeitweise vom eingeschlagenen Kurs abgegangen, um durch dieses „Entgegenkom-
men“ in einer Zeit massiver Bedrohung von außen – namentlich die sogenannten
„Koalitionskriege“ – nicht auch noch Widerstände im Inneren zu provozieren.159
Die neue bayerische Regierung knüpfte nun also dort an, wo Joseph II. aufgehört
hatte. Nahezu für alle Reformbemühungen seitens der Bayern lassen sich Kontinu-
itätslinien in die Zeit Josephs II. und Maria Theresias, in einigen Fällen auch noch
weiter zurück verfolgen. Dadurch wird das in der älteren Tiroler Historiographie zur
Erhebung des Jahres 1809 gezeichnete Bild von der überschäumenden Reformwut
bayerischer Regierungsbeamter relativiert. Schennach zeigt, wie dabei im Vorfeld des
Aufstandes von 1809, selbst in der Wahrnehmung der Zeitgenossen, die Eingriffe in
gewohnte Gegebenheiten meist als nicht allzu gravierend, oder in besonderem Maße
beeinträchtigend wahrgenommen wurden. Das betrifft die Frage der Tiroler „Ver-
fassung“ – die bis zur Einführung der bayerischen 1808 ohnehin lediglich in einem
nur in Teilen kodifizierten Kanon mehr oder weniger althergebrachter „Rechte und
Freiheiten“ bestand – ebenso, wie die Frage nach der Ausschaltung der Landstände
und geht bis zu Fragen des Steuerrechts und der sogenannten „Religionspolicey“.160
3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung
Wie standen nun „die Stubaier“ zu ihrer neuen, bayerischen, Regierung? Dass es
auf diese Frage keine einfache Antwort geben kann, ist offensichtlich. Schon die in
der Frage implizierte Annahme der Homogenität der Gruppe „die Stubaier“ ist un-
zulässig. Es gibt jedoch einige mit der neuen bayerischen Regierung in Zusammen-
hang stehende Themenbereiche, die im zeitgenössischen Stubaier Diskurs, so lässt
sich zumindest aus den erhaltenen und eingesehenen Quellen schließen, größeren
Niederschlag fanden als andere. Zumindest die Lebenswelten einiger Talbewohner,
die in einem größeren Umfang schriftliche Quellen hinterließen, scheinen von diesen
Angelegenheiten stärker betroffen gewesen zu sein als von anderen. Anhand einiger
solcher Beispiele soll im Folgenden versucht werden, sich dem Verhältnis „der Stu-
baier“ zur bayerischen Obrigkeit anzunähern und selbiges zu skizzieren.
159 Vgl. Schennach, Revolte, 2009, S. 190 f.
160 Vgl. ebd., S. 188–235; sowie zur „Verfassung“ Tirols in dieser Zeit besonders: Astrid von Schlachta,
Die „Verfassung“ des Landes – ein Erinnerungsort in der politischen Kommunikation in Tirol,
in: Abschied vom Freiheitskampf? Tirol und ‚1809‘ zwischen politischer Realität und Verklärung
(Schlern-Schriften 346), hg. v. Brigitte Mazohl und Bernhard Mertelseder, Innsbruck 2009, S. 129–
151.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Title
- Ein Bürger unter Bauern?
- Subtitle
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Author
- Michael Span
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 470
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435