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124 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant
Da in der Folge versucht wird, sich der Beantwortung der Frage nach Pfurtschel-
ler und dem Stubaital im Jahr 1809 nahezu ausschließlich aus der Perspektive von
Quellen anzunähern, die den Fokus auf eine einzige Person, eben Michael Pfurt-
scheller, richten, ist die grundsätzliche Frage der Quellenkritik, nämlich die nach der
Glaubwürdigkeit einer Quelle, wiederum in den Vordergrund zu rücken. Es wurde
bereits dargestellt, dass ein großer Teil der Quellen, die Pfurtscheller im Jahr 1809
zugänglich machen, erst Jahrzehnte später verfasst wurden, um einer mehr oder we-
niger großen Leserschaft Selbst-Erlebtes zu präsentieren. Dieser Umstand macht die
betreffenden Schriftstücke nicht a priori unglaubwürdig oder gar unbrauchbar, ver-
langt jedoch nach erhöhter Vorsicht im Umgang mit diesen Quellen.
3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck
Am 10. April wurde eine bayerische Patrouille nach Axams ins Mittelgebirge süd-
westlich von Innsbruck geschickt. Die dortigen Einwohner hatten sich der Aushe-
bung von Rekruten für den Militärdienst widersetzt. Die Soldaten stießen vor dem
Dorf auf bewaffnete Gegenwehr, organisiert von Georg Bucher297, Wirt in Axams.
Als Bucher bemerkte, dass seine nicht ganz hundert Mann den bayerischen Soldaten
nicht gewachsen waren, zog er sich zurück und entsendete Boten mit der Bitte um
Beistand in die ganze umliegende Region, „Ins obere und untere Inntal, nach Sellrain
und Stubai fliegen die Botschaften: am nächsten Tage sammle man sich auf den Wal-
deshöhen vom Iselberg bis zur Gallwiese“. So schreibt Josef Hirn über den Beginn der
Erhebung im Innsbrucker Raum.298
Von einem solchen Aufruf aus dem westlichen Mittelgebirge an die Stubaier be-
richtet indirekt auch der von Hirn ebenfalls zitierte Joseph Patsch299, 1809 Hilfs-
schullehrer in Wilten. Dieser verfasste 1838 seine „Beyträge zur Geschichte des Tiro-
ler-Krieges im Jahre 1809“, die er später Erzherzog Johann schenkte.300 Ein Exemplar
zu J. Rapp Tyrol 1809, TLMF-Bib., FB 1646–1653), darunter auch mehrere Quellen, die das Stu-
baital, teilweise auch Michael Pfurtscheller direkt, betreffen.
297 Georg Bucher (1774–1837), „Dollingerwirt“ in Axams, war 1797 an den Kämpfen bei Spinges
beteiligt, rückte 1799 ins Vinschgau, 1800 und 1805 nach Scharnitz zum Grenzschutz aus. (Vgl.
Schmölzer, Kampfgenossen, 1905, S. 57.)
298 Vgl. J. Hirn, Tirols Erhebung, 1909, S. 298.
299 Joseph Patsch (1780–1847) war als Schulgehilfe in Wilten tätig. 1809 war er Hauptmann der Wil-
tener Schützen. Im Frühjahr 1810 wurde er von bayerischen Truppen gefangen genommen und
nach München überstellt. Nach fünfmonatiger Haft kehrte er nach Wilten zurück und nahm seine
Tätigkeit als Schulgehilfe wieder auf. Später wurde ihm eine kaiserliche Pension zugesprochen. (Vgl.
Granichstaedten-Czerva, Alte Garde, 1932, S. 347–351.)
300 Vgl. J. Hirn, Tirols Erhebung, 1909, S. 299; sowie: Schennach, Revolte, 2009, S. 81.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Title
- Ein Bürger unter Bauern?
- Subtitle
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Author
- Michael Span
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 470
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435