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Thematisierung über Religion oder religiöse Differenz gegeben ist. In beiden Kinder-
gärten sind keine Strukturen vorhanden, wie religiöse Differenz erkennbar ist und wie
diese thematisiert wird, und die Leitungen und Pädagoginnen der Kindergärten verfü-
gen über kein Konzept, wie sie religiöse Differenz im Kindergarten thematisieren.663
Obwohl die Pädagoginnen sich religiöser Differenz gegenüber positiv äußern, gibt es
bis auf einige zaghafte Bemühungen keine Thematisierung der kleineren Religionen
oder religiöser Differenz. Die Dominanz der größeren Religion im Kindergarten drückt
sich darin aus, dass der Kindergartenalltag von dieser geprägt ist, die Erkennbarkeit
religiöser Differenz minimiert und Kommunikation darüber weitgehend vermieden
wird, was in den Kategorien „Erkennbare Elemente religiöser Differenz“664 und
„Kommunikation über religiöse Differenz“ deutlich wird.665 Trotz der Dominanz der
größeren Religion in den Kindergärten sind Situationen vorhanden, in denen Kinder
religiöse Differenz bemerken. Die Kommunikation der Kinder über erkannte religiöse
Differenz unterscheidet sich zwischen den Kindern der beiden Kindergärten sowie
zwischen den Kindern der größeren Religion und der kleineren Religionen. Kinder
der größeren Religionen nehmen auf erkennbare Elemente religiöser Differenz Bezug,
im Kindergarten in islamischer Trägerschaft unvermittelt im Kindergartenalltag, im
Kindergarten in katholischer Trägerschaft in bewusst initiierten Gruppendiskussionen
oder zu Hause. Kinder der kleineren Religionen scheinen im Kindergarten nicht den
Ort zu sehen, an dem religiöse Differenz oder die eigene Religion thematisiert werden
kann. Die kleineren Religionen werden im jeweiligen Kindergarten nur insofern
erkennbar, als dass die betroffenen Kinder etwas nicht dürfen beziehungsweise bei
etwas nicht mitmachen. Eigene religiöse Ausdrucksformen oder Bräuche werden im
Kindergarten weder von den Pädagoginnen noch von den Kindern thematisiert. Die
eigene Religion kann von den Kindern der kleineren Religionen im Kindergarten nicht
als Bereicherung, sondern ausschließlich als Defizit erfahren werden. Der Wunsch
nach Zugehörigkeit zur jeweils dominierenden größeren Religion, wie es in beiden
Kindergärten der Fall ist, äußert sich, indem Kinder der kleineren Religionen reli-
giöse Differenz sowie ihre eigene Religion oder religiösen Ausdrucksformen nicht
thematisieren und ihr Verhalten dem der Kinder der größeren Religion anpassen.666
Kinder nehmen um der Zugehörigkeit und des Nicht-Auffallens willen den Preis auf
sich, Unwahrheiten zu erzählen. Somit unterscheiden sich die Kinder der kleineren
Religionen in ihrem Verhalten nicht von den Kindern der größeren Religion. Dieses
Verhalten stimmt mit der Struktur des Kindergartens überein, in der die größere Reli-
gion dominiert und die kleineren Religionen nicht anerkannt werden.
663 Vgl. Kapitel „Konzeptuelle Überlegungen zu Religion und religiöser Differenz“ (Teil V,
4.1.1).
664 Vgl. Kapitel „Erkennbare Elemente religiöser Differenz“ (Teil V, 4.1.2).
665 Vgl. Kapitel „Dominanz einer Religion“ (Teil V, 4.1.4).
666 Vgl. Kapitel „Frage der Zugehörigkeit“ (Teil V, 4.2.2).
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279