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192 „Die Kultur einer Organisation und ihre sichtbaren wie auch unbewussten Facetten
haben großen Einfluss auf die Angehörigen der Organisation: Sie dienen als Verhal-
tensmaßstab, geben Orientierung und stiften letztlich Identität. Die Kultur wird von
Angehörigen einer Organisation gelebt – auch wenn sie ihnen nicht in allen Facetten
bewusst ist […].“721
Der Inhalt der Organisationskultur reflektiert die Probleme, die jede Gruppe betref-
fen, „dealing with its external environment […] and managing its internal integra-
tion […]“.722
Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse zur Organisationskultur ist anzunehmen,
dass die Kultur, die im Kindergarten anzutreffen ist, das Verhalten der im Kindergarten
Beteiligten beeinflusst. Aufgrund der sichtbaren Artefakte und der bewussten Werte
kann auf die nicht bewusst reflektierten Grundannahmen geschlossen werden. So
könnte im Kindergarten, in dem die Kinder und die Eltern der kleineren Religionen
nichts über ihre eigene Religion aussagen, sich den Ausdrucksformen der größeren,
dominanten Religion anpassen und versuchen, nicht aufzufallen,723 keine Kultur der
Anerkennung religiöser Differenz, die sich in sichtbaren Artefakten und bewussten
Werten ausdrückt und auf die nicht bewussten Grundannahmen schließen lässt, entwi-
ckelt sein. Wird das Thema religiöse Differenz von den Pädagoginnen und Pädagogen
in elementaren Bildungseinrichtungen ausgespart,724 kann von diesem sichtbaren
Artefakt auf die nicht bewusst reflektierte Grundannahme geschlossen werden, dass
religiöser Differenz im Kindergarten wenig Bedeutung zukommt. Für Kinder und
Eltern ist die Barriere höher, religiöse Differenz zu thematisieren, wenn religiöse
Differenz in der Kultur der Organisation keine Rolle spielt und nicht thematisiert wird
sowie die Bedeutung und die Chance religiöser Differenz weder in den Artefakten, den
Werten noch in den nicht bewussten Grundannahmen verankert ist, sondern diese aus-
schließlich als Problem erlebt wird. Schließt die Kultur des Kindergartens die positive
Sicht und den Umgang mit religiöser Differenz aus, liegt es an den Kindern, sich in
einer solchen Kultur ein- und zurechtzufinden. In dieser Untersuchung schweigen die
Kinder der kleineren Religionen über ihre eigene Religion oder ihre eigenen religiösen
Ausdrucksformen.725 Eine ähnliche Tendenz zeigt sich im Forschungsprojekt von Julia
Ipgrave726, in der dreizehn- bis siebzehnjährige Schülerinnen auf die Hänseleien von
Mitschülerinnen und Mitschülern mit Schweigen über ihre Religion oder ihre religi-
721 Kauffeld, Simone/Ebner, Katharina (2014): Organisationsentwicklung. In: Schuler,
Heinz/Moser, Klaus (Hg.): Lehrbuch Organisationspsychologie, 457–507, 466.
722 Schein, Edgar. H. (1992): Organizational Culture and Leadership, 49.
723 Vgl. Kapitel „Zusammenschau der beiden selektiven Kodes“ (Teil V, 4.3).
724 Vgl. Kapitel „Dominanz einer Religion“ (Teil V, 4.1.4).
725 Vgl. Kapitel „Zugehörigkeitsstreben der Kinder“ (Teil V, 4.2.4).
726 Vgl. Ipgrave, Julia (2014): Relationships between local patterns of religious practice and
young people’s attitudes to the religiosity of their peers. In: Arweck, Elisabeth/Jackson,
Robert: Religion, Education and Society. London/New York: Routledge Taylor & Francis
Group, 13–25.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279