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Die Umgangssprache wird am häufigsten von SchülerInnen in den mittleren
Bundesländern (Oberösterreich und Salzburg: 77,6 %) und SchülerInnen in süd-
östlichen Bundesländern (Steiermark und Kärnten: 76,6 %) genannt, gefolgt von
SchülerInnen aus Tirol (71,3 %) und aus den östlichen Bundesländern (69 %). Am
wenigsten oft wurde diese Antwort von SchülerInnen aus Vorarlberg angekreuzt
(64,3 %) (p = 0,017). Letzteres könnte damit zu tun haben, dass in Vorarlberg
– ähn-
lich wie in der Schweiz
– die Umgangssprache eine deutliche geringere Bedeutung
hat, weil dort eine Situation der Diglossie vorherrscht (vgl. Ender/Kaiser 2009, 286).
Diejenigen SchülerInnen, die nur Deutsch als Muttersprache haben, nannten
die Umgangssprache signifikant häufiger (75,5 %) als solche, die nur mit anderen
Sprachen als Deutsch aufgewachsen sind (58,2 %) (p = 0,000).
Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass sich im Bewusstsein
der heimischen LehrerInnen und SchülerInnen das österreichische Deutsch als
eine Kombination aus Umgangssprache, Dialekt und Standard zusammensetzt,
wobei die standardnahe Mediensprache, die in den österreichischen TV- und
Radionachrichten zum Einsatz kommt, erst in dritter Linie mit österreichischem
Deutsch gleichgesetzt wird.
Das führt zu einem generellen Befund, den die qualitativen Daten aus der Grup-
pendiskussion und den Interviews im Prinzip bestätigt haben: Das österreichische
Standarddeutsch wird nicht primär mit dem „österreichischen Deutsch“ assoziiert.
In der Gruppendiskussion der SchülerInnen wurde diese Thematik ausführlich
diskutiert. Auf die Frage, was österreichisches Deutsch für sie bedeute, erwähn-
ten die befragten SchülerInnen explizit Dialekt und Mundart sowie bestimmte
Austriazismen („nicht unbedingt nur Dialekt und Mundart, […], sondern auch
ähm heimische Begriffe“ [F2]); genannt werden Sackerl, Schnackerl, Semmel; „die
Dialekte und die Ausdrücke die’s einfach beim deutschen Deutsch jetzt nicht so
gibt“ (F4), „für mich ist österreichisches Deutsch hauptsächlich Dialekt“ (F6).
Mehrmals wurde eine Opposition zwischen österreichischem Deutsch und „Hoch-
deutsch“ konstruiert („es klingt einfach sympathischer als Hochdeutsch“, [F8]).
Letztlich wurden in erster Linie umgangssprachliche und nähesprachliche Varie-
täten mit dem österreichischen Deutsch assoziiert.
Das zeigten auch die Prädikationen, die dem österreichischen Deutsch zuge-
schrieben wurden: Die SchülerInnen assoziierten es teilweise mit Begriffen wie
„Familie“ und „Nähe“ und nannten es „familiär“. Vorgebracht wurden auch Bemer-
kungen wie: „ich finds auch familiärer als das deutsche Deutsch“ (F10) oder „ich
finde österreichisches Deutsch ist persönlicher als deutsches Deutsch“ (F11). Mehr-
fach wurde dem österreichischen Deutsch eine nonformelle Note zugeschrieben:
„es is auch viel lässiger – chilliger“ (F9), „also in Österreich locker“ (F10), „für
mich ist österreichisches Deutsch einfach nicht so – so hochgestochen wie das
deutsche Deutsch“ (F5). Auch mit den Begriffen „Tradition und Kultur“ wurde
die heimische Varietät gedanklich in Verbindung gebracht: „(xxxx) Ich seh da
zum Beispiel ein österreichisches Ehepaar ((lacht)) also im Dirndlanzug“ (M3).
Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256