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Mit DEM Franz - - - Najo, wenns zum Erzähltext passt, aber natürlich würd ichs
anstreichen und des besprechen. Oder benennen, dass des ah - - umgangssprachlich
is, aber wenn das in den/in den Kontext dieses Aufsatzes passt, dann schon.
Dass die Verwendung von Präteritum und Perfekt in schriftlichen Erzähltexten
eine Quelle der Unsicherheit bildet, wurde von einer burgenländischen Lehrerin
(FB2) deutlich gemacht: „Na, des is überhaupt a schwierige Frage, würd ich sagen,
weil des ja net SO festgelegt is, ja? Also es gibt schon diese Zeitenfolge, aber so/
so richtig festgelegt findet ma des ja net, ja?“
Dieser Kommentar bringt uns dazu, dass in der Fachliteratur häufig darauf ver-
wiesen wird, dass die empirische Beschreibung des österreichischen Deutsch als
unzureichend einzustufen ist. Diese Kodifizierung stellt LehrerInnen in der Praxis vor
die schwierige Situation, dass sie bei der Korrektur bis zu einem gewissen Grad auf
sich allein gestellt sind und Normfragen nach persönlichem Ermessen entscheiden
müssen. Die folgende Interviewpassage mit einer Wiener Lehrerin (FW1) illustriert
recht anschaulich, wie subjektiv der Korrekturprozess in der Praxis gehandhabt wird:
Was ich SCHON angestrichen hab, ist diese konsequente Verwendung des Perfekt
… das
streich ich SCHON an, das üben wir aber auch sehr intensiv, aber zum Beispiel äh DER
Franz, das schon auch, der Mama hab ich geholfen, die Oma, die Frau Meier, der Wolfgang,
mein Bruder, also das streich ich AUCH an, ah was ich NICHT anstreich sind so TYPISCH
österreichische Ausdrücke wie „Greißler“ und ah „Wimmerl“, „Stutzen“, „GEFLADERT“
allerdings schon. Des ghört für mich dann eigentlich schon in den Dialekt hinein.
So wie dieser Lehrerin dürfte es vielen anderen Lehrkräften auch gehen: Die Ent-
scheidung darüber, was Dialekt ist und was nicht, wird beim Verbessern von Tex-
ten intuitiv getroffen und im Zweifelsfall mitunter wieder relativiert. Auffällig ist
weiters, dass die zitierte Lehrerin „typisch österreichische Ausdrücke“ mit ebenso
österreichischen Phänomenen wie Artikelgebrauch vor Eigennamen und die Ver-
wendung des Perfekt kontrastiert hat. Diese Unterscheidung macht deutlich, dass
Deutschlehrende beim Umgang mit der österreichischen Varietät große Unsicher-
heiten haben, was für den Deutschunterricht besonders problematisch ist.
Denn DeutschlehrerInnen sind normsetzende Instanzen (vgl. Kap. 2.6).
Obwohl den LehrerInnen damit bei der Vermittlung des österreichischen Deutsch
als Bildungssprache eine prägende Rolle zukommt, müssen sie beim kontinuier-
lichen Urteilen über Korrektheit und sprachliche Angemessenheit ohne einen
verbindlichen normativen Maßstab zurechtkommen.
Erkennbar wurde diese Problematik auch in einer langen Passage der Lehre-
rInnen-Gruppendiskussion, die sich konkret um die Akzeptanz des Perfekts
anstelle des Präteritums als schriftlicher Erzählzeit im österreichischen Deutsch
gedreht hat. Zur qualitativen Illustration der Normfrage sei die betreffende Pas-
sage in der Gesprächsrunde hier etwas ausführlicher dargestellt.
Korrekturverhalten
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256