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Dialekt und Standard bewegen und die Registervariabilität in der Alltagskom-
munikation voll ausschöpfen. Ein Lehrer aus Salzburg (MSa4) dachte laut über
seine Sprachverwendung nach:
In meinem Fall is des a Mischung aus eben schon leicht verschwundenem oberöster-
reichischen Dialekt, und natürlich als Deutschlehrer is man do irgendwie a (in) einer
gewissen Rolle (drinnen) natürlich irgendwie auch im Dialektalen irgendwie verhaftet,
irgendwie so mittendrin. Ja?
- - Jo, also jetzt/ kein Lungauer Dialekt. Wie man hört
…
aber in normalen Gesprächen natürlich mit dialektalen Verwendungen.
Auch eine Lehrerin aus Oberösterreich (FO1) betrachtete ihre Art des Sprechens
als einen Mix: „Ahm Umgangssprache. Mit teilweise vielleicht Dialektelemen-
ten, aber eher Umgangssprache.“ Die große Mehrheit aller LehrerInnen gab bei
den Interviews an, dass sie außerhalb des Unterrichts mit ihren SchülerInnen
Umgangssprache oder Dialekt oder zumindest eine stärker umgangssprachlich
gefärbte Standardsprache sprechen würden, wobei Dialekt oft mit Nähe und
Standard mit Distanz assoziiert wird. Auch hier zeigt sich wieder das Muster,
dass sich LehrerInnen in nähesprachlichen Situationen außerhalb des regulären
Unterrichts – wie auch beim emotionalen Schimpfen in der Klasse – etwas vom
Standard wegbewegen, wie eine Lehrerin aus Niederösterreich (FN1) beschrieb:
Sobald a Privatsituation is, wird’s dialektaler. Und sicher auch Sportwochen und so. Logi-
scherweise, i glaub, das fördert dann ah wie soll i sogn? -- die Zutraulichkeit. Weil des doch
a Distanzbarriere is, wenn ma Standard oder halt annähernd an die Standardsprache spricht.
Befunde aus der teilnehmenden Beobachtung ergänzen dieses Bild: Es wird eine
gewisse Diskrepanz zwischen Selbsteinschätzung der LehrerInnen („eigentlich fast
nie Dialekt“) und beobachtetem Sprachgebrauch festgestellt. Die Beobachtungen
bestätigen das Dialekt- Standard- Kontinuum: Die dialektale Varietät werde eher
für Disziplinäres und Organisatorisches u. Ä. verwendet, Standardnähe findet
sich im Vortrag, im LehrerInneninput und bei Referaten. Ein Protokollausschnitt
möge das illustrieren:
Die Lehrerin sprach österreichisches Standarddeutsch mit Tiroler und Vorarlberger Fär-
bung. Umgangssprachliche Äußerungen kamen immer wieder vor, vor allem bei diszi-
plinären Äußerungen und Arbeitsaufträgen, z. B.: „Also jetz fangsch amal an mit einer
kleinen Geschichte…“. Ein anderer Lehrer, der kurz hereinkam, um etwas zu holen, sprach
die Kinder im Dialekt an. Diese antworteten mit: „Grüß Gott!“ und „Auf Wiedersehen!“
Auch die SchülerInnen wurden gefragt, wie sie mit ihren LehrerInnen sprechen.
Was sie am häufigsten im Fragebogen nannten, war die Standardsprache – ihrer
eigenen Einschätzung nach verwenden mehr als die Hälfte der Schüler mit ihren
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Ergebnisse der empirischen Erhebung an
Schulen208
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256