Page - 18 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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den anderenâ,25 stets distanziert und misstrauisch gegenĂŒber, und er versuchte
dagegen sowohl durch entschiedenen Widerspruch als auch mit einer eigenen
Idee literaturkritischen Schreibens anzutreten (s. Kap. V).
In jenen Jahren, in denen Bernhard und Handke mit ihren DebĂŒtromanen
Frost (1963) und Die Hornissen (1966) als vielversprechende Autoren der Frank-
furter Verlage Insel und Suhrkamp reĂŒssierten, kamen die zĂ€hlebigen Debatten
ĂŒber MaĂstĂ€be, Verfahren und gesellschaftliche Bedingungen der Literatur-
kritik 26 eben neu in Schwung. Der 72-jÀhrige T. S. Eliot hatte im Juli 1961 an der
University of Leeds eine âConvocation Lectureâ mit dem Titel To Criticize the
Critic gehalten, aber auch zahlreiche jĂŒngere Autorinnen und Autoren mach-
ten sich nun auf, die Institution der Literaturkritik selbst kritisch zu befragen
und deren AutoritÀt in Zweifel zu ziehen. Handke gehörte zu dieser neuen, der
Provokation keineswegs abgeneigten Generation, und er bemÀngelte bereits im
Dezember 1964 in einem seiner ersten Rundfunkfeuilletons die âautomatisiertâ
und âmechanischâ verwendeten âBewertungsworteâ der Literaturkritik. Wenn er
schlieĂlich am Ende seiner Metakritik in Aussicht stellte, dass im Schreiben ĂŒber
Literatur âauch andere SĂ€tze möglichâ seien,27 setzte er damit nicht nur den Auf-
takt fĂŒr ein dauerhaft belastetes VerhĂ€ltnis zur Literaturkritik, sondern plĂ€dierte
darĂŒber hinaus âfĂŒr eine andere Auseinandersetzung mit Literaturâ, die sich in
seinem eigenen Ćuvre bis heute nachverfolgen lĂ€sst.28 WĂ€hrend Bernhard nur
am Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn (1952 â 1955) im engeren Sinne als
Kritiker tĂ€tig war, hat Handke sich seit Mitte der 1960er Jahre â allen Vorbehal-
ten gegenĂŒber der âRolle des Kritikersâ 29 zum Trotz â regelmĂ€Ăig als âBegleit-
schreiberâ 30 fremder Texte eingebracht und sich, ĂŒber den konkreten Einzelfall
hinaus, mit verschiedenen Formen kritischen Schreibens auseinandergesetzt.
Peter Handke verstand sein Schreiben ĂŒber die Texte anderer nicht bloĂ
als âFreundschaftsdienstâ fĂŒr Schriftsteller,31 mit denen er persönlich in gutem
25 Peter Handke: Nachmittag eines Schriftstellers. ErzĂ€hlung. Salzburg, Wien: Residenz 1987, S.Â
37.
26 Vgl. dazu etwa Wolfgang Albrecht: Literaturkritik. Stuttgart, Weimar: Metzler 2001, S. 85 â 97.
27 Peter Handke: âBĂŒchereckeâ vom 21. 12. 1964. In: P. H.: Tage und Werke. Begleitschreiben. Berlin:
Suhrkamp 2015, S. 189 â 197, hier S. 190.
28 Karl Wagner: Handkes Endspiel. Literatur gegen Journalismus. In: Mediale Erregungen? Auto-
nomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart. Hg. v. Markus
Joch, York-Gothart Mix u. Norbert Christian Wolf. TĂŒbingen: Niemeyer 2009, S. 65 â 76, hier
S. 70.
29 So der Abschnitttitel in Peter Handke: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. FrankfurtÂ
a.Â
M.:
Suhrkamp 1972, S. 191 â 207.
30 Dazu ausfĂŒhrlich Lothar Struck: Der Begleitschreiber. Einige Bemerkungen zum Kritiker und
Leser Peter Handke. In: L. S.: ErzÀhler, Leser, TrÀumer. Begleitschreiben zum Werk von Peter
Handke. Mit einem Vorwort v. Klaus Kastberger. [Klipphausen]: Mirabilis 2017, S. 13 â 27.
31 Peter Handke: Des Privatdetektivs eigener Fall. Ăber Peter Stephan Jungk und seinen Roman Tigor.
[1992] In: P. H.: Langsam im Schatten. Gesammelte Verzettelungen. 1980 â 1992. FrankfurtÂ
a.Â
M.:
âSchreiben ist ein FĂŒnfkampfâ: Eine Art
Einleitung18
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471