Page - 38 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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In seiner unmittelbaren Antwort auf Unselds Beschwichtigung gab Bernhard
sich noch souverÀn: Zwar gebe es, so Bernhards apodiktische Feststellung am
18. Mai 1967, âĂŒberhaupt nur dumme, darunter aber verheerend ganz dumme
Kritikerâ, aber er lasse sich von den negativen Rezensionen seines nach dem
DebĂŒt Frost (1963) zweiten, erneut im Insel Verlag erschienenen Romans mit
Sicherheit ânicht irritierenâ, sondern werde vielmehr âarbeiten, nichts als arbei-
ten und mein lebenslĂ€ngliches VergnĂŒgen daran habenâ: âIch finde, die Kritiker,
ob dumm oder nicht, haben sich von meinem Buch aufregen lassen, das ist der
Sinn eines solchen Buches.â 46
Umso mehr sorgte Bernhards Replik, in der er Eisenreichs âUrwaldâ-Vor-
wurf in verknappter Form gegen den Kritiker wendet und einen âSchimpansen
oder Maulaffenâ fĂŒr eine zukĂŒnftige RezensionstĂ€tigkeit im Spiegel vorschlĂ€gt, fĂŒr
Irritationen bei seinem Verleger: Noch am Tag der Publikation des Leserbriefs
forderte Unseld Bernhard nachdrĂŒcklich auf, angesichts von kritischen Reaktio-
nen auf seine BĂŒcher Contenance zu bewahrenÂ
â ein fĂŒrsorglicher Hinweis, der
zweifellos auch im Sinne des Suhrkampâschen Credos, nicht bloĂ BĂŒcher, son-
dern Autoren zu verlegen 47 und dabei deren öffentliches Auftreten in die verlags-
seitige Werkpolitik einzukalkulieren, zu verstehen ist: âBitte, reagieren Sie in der
Ăffentlichkeit nicht auf die Kritik, die an Ihnen geĂŒbt wird. Ihr âSpiegelâ-Brief
könnte wie ein Bumerang auf Sie zurĂŒckschlagen. Man darf so nicht reagieren
und muĂ seinen Ăbermut bezĂ€hmen.â 48 Szenen einer solchen verlegerischen
Appeasement-Politik sollten sich in der Folge regelmĂ€Ăig wiederholen, etwa
in Unselds diplomatischem Beschwichtigungsbrief nach der skandaltrÀchtigen
Verleihung des Ăsterreichischen Staatspreises im MĂ€rz 1968, in dem er seinem
Autor nahelegte, âzunĂ€chst ĂŒberhaupt keine Notiz von der Sache [zu] nehmenâ,
um die Fronten nicht weiter zu verhÀrten:
zwischen Autor und Verleger hervorhebt: âDen Spagat, den ein Lektor aus prinzipiellen GrĂŒnden
zu meistern hat zwischen der LoyalitÀt zum Verlag und der LoyalitÀt zum Autor, gab Botond auf
zugunsten letzterem, ohne illoyal Position gegenĂŒber dem Verleger Siegfried Unseld zu bezie-
henÂ
â eine Artistik, möglich allein durch stĂ€ndige intellektuelle und psychische Anspannung.â
(Ebd., S.Â
199) Ohne dass ihr Name genannt wird, findet Botond auch in Bernhards Meine Preise
als Helferin in finanzieller Not ErwÀhnung (vgl. TBW 22.2, 377 f.).
46 Bernhard an Unseld, 18. 5. 1967. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 16), S. 56.
47 So âbeschrĂ€nkte sich der Suhrkamp-Verlag nicht auf die Publikation einzelner BĂŒcher, sondern
beanspruchte die âGesamtphysiognomieâ eines Schriftstellers zu prĂ€sentierenÂ
â durch sukzessive
Veröffentlichung aller BĂŒcher dieses Schriftstellers, die zumeist durch preiswerte Taschenbuch-
ausgaben einem breiten Publikum zugÀnglich gemacht wurden und durch kompakte Werkaus-
gaben fĂŒr die wissenschaftliche Rezeption zugĂ€nglich blieben.â (Lorenz: Die Ăffentlichkeit der
Literatur [Anm. 26], S. 45) Vgl. dazu Siegfried Unseld: Die Aufgaben des literarischen Verle-
gers. In: S. U.: Der Autor und sein Verleger. Vorlesungen in Mainz und Austin. FrankfurtÂ
a.Â
M.:
Suhrkamp 1978, S. 9 â 64, bes. S. 36.
48 Unseld an Bernhard, 29. 5. 1967. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 16), S. 57 f.
âich kann mich damit schwer abfindenâ: Kritik der Kritik als
Werkpolitik38
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471