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der Gruppe 47, andererseits als öffentlich gefĂŒhrte Attacke, die zwangslĂ€ufig eine
Reaktion vonseiten der angegriffenen Kritiker herausforderte.75
Es liegt also durchaus nahe, Handkes Diktum von der âBeschreibungsimpo-
tenzâ nicht nur auf die Verwendung literarischer Verfahren im Kontext eines
terminologisch umkĂ€mpften âNeuen Realismusâ zu beziehen,76 sondern auch auf
die mangelnde FĂ€higkeit der attackierten Kritiker, diese Verfahren vorurteilsfrei
und mit adĂ€quaten Mitteln zu beschreibenÂ
â gerade in jener (aus dem RĂŒckblick)
finalen Phase der Gruppe 47, in der die Riege der âBerufskritikerâ zunehmend
an Einfluss und medialer Aufmerksamkeit gewonnen hatte:
From the early 1950s on, professional critics became quasi group members, ultimately
including critic-celebrities such as Marcel Reich-Ranicki, Fritz Raddatz, Hans Mayer,
and Walter Jens.Â
[âŠ] Some members bemoaned the invitation of professional critics,
because their presence put an end to the intimate workshop atmosphere.77
Hatten Walter Jens und der spĂ€tere âProfessor-Autor-Dichterâ 78 Walter Höllerer
sich zu Beginn ihrer Partizipation noch vor allem als literarische Autoren ver-
standen, entwickelte sich spĂ€testens mit der regelmĂ€Ăigen Einladung von Joachim
Kaiser, Marcel Reich-Ranicki und Hans Mayer Ende der 1950er Jahre eine zuneh-
mend mÀchtige Kritiker-Fraktion innerhalb der Gruppe 47 heraus.79 WÀhrend
dieses vergleichsweise kleine âLagerâ, zu dem etwa noch Reinhard Baumgart und
Fritz J. Raddatz zu zÀhlen sind, immer mehr die Diskussionen im Anschluss an
die Lesungen dominierte, brachten sich die Autoren selbst zusehends seltener
in die GesprĂ€che ein:80 âHat die Kritik in der Gruppe zunĂ€chst den Charakter
75 Vgl. dazu auch die Notiz zu Handke im Tagungsbericht von Dieter E. Zimmer: Gruppe 47 in
Princeton. In: DIE ZEIT, Nr.Â
19, 6. 5. 1966: âEs war ein Aufstand gegen so gut wie alles, was sich
an Literatur und Kritik auf dieser Tagung prÀsentiert hatte, nicht sehr artikuliert zwar, selber
Geschimpf, doch radikal gemeint.â
76 Vgl. dazu Rolf G. Renner: Peter Handke. Stuttgart: Metzler 1985, S. 25, sowie ausfĂŒhrlich
Estermann: Vom âbloĂ sprachlichenâ zu einem âallumfassenden Realismusâ (Anm.Â
30), S.Â
97 â 102.
77 Kristin Rebien: Gruppe 47: Literature, politics, and the political economy of postwar publishing.
In: German Life and Letters 62 (2009), H. 4, S. 448 â 464, hier S. 459. Vgl. auch Jörg Magenau:
Princeton 66. Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47. Stuttgart: Klett-Cotta 2016, S.Â
125 f., sowie
die Erinnerungen von Reinhard Baumgart: Damals. Ein Leben in Deutschland. 1929 â 2003.
[MĂŒnchen]: Hanser 2003, S. 230, der vom âVorherrschen der eloquent virtuosen Profikritik,
nach jeder Lesung zelebriert vor allem vom Quintett Jens, Kaiser, Höllerer, Reich-Ranicki und
Hans Mayerâ, schreibt.
78 Friedrich Christian Delius: Als die BĂŒcher noch geholfen haben. Biografische Skizzen. Berlin:
Rowohlt 2012, S. 46.
79 Vgl. Helmut Böttiger: Die Gruppe 47. Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb. MĂŒnchen:
DVA 2012, S. 265 f.
80 Vgl. ebd., S. 272; Rebien: Gruppe 47 (Anm. 77), S. 459.
Handkes Hornissen nach Princeton 45
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471