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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Kontrahenten „in die Vergangenheit“ verweist, bezieht er selbst die Position des „Neuankömmling[s]“, der bestrebt ist, die Differenz zwischen seiner eigenen Kunstauffassung und jener des (auch biologisch) Ă€lteren Lind zu betonen.138 Nicht nur die „Abwertung der bestehenden kulturellen Werte“ ist Boris Groys zufolge „ein notwendiger Aspekt des innovativen Gestus“,139 sondern auch die Deklaration und Denunziation des Bestehenden als Vergangenes, als nicht mehr ZeitgemĂ€ĂŸes. In kondensierter Form formuliert Handke in der Folge eine poetologische Standortbestimmung, die die grundlegenden Positionen seiner Essays Die Lite- ratur ist romantisch (1966) und Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms (1967) zusammenfĂŒhrt und integrativ verdichtet. Wie in anderen FĂ€llen fordert auch hier der Widerspruch zur Zuspitzung des eigenen Standpunkts heraus, erweist sich der Dissens als Motor distinkter Selbstbeschreibung: Sicher ist, daß Lind und seinesgleichen, engagiert wie sie sind, bis in alle Ewigkeit kritiklos die literarischen Formen jener Gesellschaft verwenden werden, die sie zu kritisieren glauben. Ich selber bin nicht engagiert, wenn ich schreibe. Ich interessiere mich fĂŒr die sogenannte Wirklichkeit nicht, wenn ich schreibe. Sie stört mich. Wenn ich schreibe, interessiere ich mich nur fĂŒr die Sprache; wenn ich nicht schreibe, ist das eine andere Sache.  [
] Es wĂ€re mir widerlich, meine Kritik an einer Gesellschaftsord- nung in eine Geschichte zu verdrehen oder in ein Gedicht zu Ă€sthetisieren. Das finde ich die scheußlichste Verlogenheit: sein Engagement zu einem Gedicht zu verarbeiten, Literatur draus zu machen, statt es gerade heraus zu sagen. Das ist Ästhetizismus, und diese Art von Literatur hĂ€ngt mir zum Hals heraus. Ich schreibe von mir selber.140 Sind Linds Besprechung und Handkes Replik, in der er dessen Ästhetizismus- Vorwurf postwendend an den Rezensenten zurĂŒckreicht, auch als Symptome eines grundlegenden Konflikts zwischen verschiedenen Schriftstellergeneratio- nen ĂŒber den Status des ‚Neuen‘ zu interpretieren  – Lind war gut 15  Jahre Ă€lter  –, richtete sich Handkes nĂ€chste ‚Gegendarstellung‘ demonstrativ an einen Alters- genossen: Hans Christoph Buch, Jahrgang 1944, der 1966 mit dem Prosaband Unerhörte Begebenheiten sein erstes Buch ebenfalls bei Suhrkamp veröffentlicht hatte. Er wurde Ende 1967 vom Spiegel in einer der Rezension vorangestellten biographischen Skizze als „einer der jĂŒngsten unter den Autoren der sich jetzt etablierenden Nach-Graß-Generation [sic]“ eingefĂŒhrt und anschließend auf Handkes zweiten Roman Der Hausierer ‚losgelassen‘. Schon mit dem ersten Satz 138 Bourdieu: Die Regeln der Kunst (Anm.  6), S.  254; dazu auch Nina Birkner: Vom Genius zum MedienĂ€stheten. Modelle des KĂŒnstlerdramas im 20.  Jahrhundert. TĂŒbingen: Niemeyer 2009, S.  9. 139 Boris Groys: Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie. MĂŒnchen: Hanser 1992, S.  63. 140 Handke: Wenn ich schreibe (Anm.  137), S.  467. „ich kann mich damit schwer abfinden“: Kritik der Kritik als Werkpolitik58 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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