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Akteure im literarischen Feld auf die folgende Formel kondensiert, die strukturell
von ferne an die doppelte PolemikÂ
â als Autoren- und KritikerschelteÂ
â des jungen
Peter Handke in Princeton erinnert: âLauter kitschiger und kopfloser Schmar-
ren wird gedrucktâ, so Bernhards Brief an seinen Verleger vom 1. August 1985,
âdas ist ĂŒber so viele Jahre schon deprimierend. Die Schriftsteller sind kunstlose
Dummköpfe und die Kritiker sentimentale SchwĂ€tzer.â 12
Handkes EinwÀnde gegen die Literaturkritik erweisen sich bereits auf den ers-
ten Blick als differenzierter â gerade sein frĂŒher Essay Marcel Reich-Ranicki und
die NatĂŒrlichkeit (1968) argumentiert, ungeachtet seiner polemischen Agenda, auf
hohem literaturtheoretischem Niveau.13 Im Gegensatz zu Bernhard seltener auf
pauschale Diffamierungen beschrÀnkt, konstatierte Handke gleichwohl seit langer
Zeit und in immer neuen AnlÀufen ein fundamentales Unvermögen vieler Kriti-
ker, literarische Texte in ihrer spezifischen kĂŒnstlerischen Logik zu begreifen. Das
âKultur
geschwĂ€tz deutscher Feuilletonistenâ 14 reizte ihn bei vielen Gelegenheiten
zum entschiedenen Widerspruch. Zudem hat Handke ein ums andere Mal gegen die
Literaturkritiker den Vorwurf der Unsinnlichkeit erhoben, die mit einer UnfÀhig-
keit zur vorurteilsfreien LektĂŒre einhergehe: âSehlustfeindlichâ zu sein, hat er in
diesem Sinne Mitte der 1980er Jahre dem âFeuilletonâ in toto attestiert.15 Handkes
Neologismus korrespondiert mit einer Klage, die der Autor in gleich mehreren
Notaten seiner JournalbĂ€nde festgehalten hat: âSo viele, die ĂŒber BĂŒcher schreiben
(sich auslassen?), machen diese, gerade die wesentlichen, fĂŒrs erste unleserlichâ.16
Die literaturkritische Kommentierung von BĂŒchern eröffne, so Handke, ihm
und anderen Lesern in vielen FÀllen keine ZugÀnge zum Text, keine Wege zu
dessen individueller Aneignung, sondern verhindere oft das unbefangene Erleb-
nis der LektĂŒre: âManchmal denke ich auch, daĂ das Lesen eine Sache von Leu-
ten geworden ist, die den anderen das Lesen immer mehr unmöglich machenâ,
schreibt Handke am 7. Mai 1974 an Hermann Lenz. WĂ€hrend der LektĂŒre von
Franz Nabls Die Ortliebschen Frauen sei ihm, so Handkes Brief an Lenz, bewusst
12 Bernhard an Unseld, 1. 8. 1985. In: ebd., S. 726.
13 Vgl. Norbert Christian Wolf: Autonomie und/oder Aufmerksamkeit? Am Beispiel der medialen
Erregungen um Peter Handke, mit einem Seitenblick auf Marcel Reich-Ranicki. In: Mediale
Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart.
Hg. v. Markus Joch, York-Gothart Mix u. N. C. W. TĂŒbingen: Niemeyer 2009, S. 45 â 63, hier
S. 53: âJenseits der Polemik [âŠ] besticht Handkes metakritische Diagnose durch ihr sprach-
liches und intellektuelles Niveau sowie durch ein literaturtheoretisches Problembewusstsein,
das man in Reich-Ranickis Rezensionen vergeblich suchen wird.â
14 AndrĂ© MĂŒller: Im GesprĂ€ch mit Peter Handke. Weitra: Bibliothek der Provinz 1993, S. 54 f.
15 Peter Handke: Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982 â 1987). Salzburg, Wien:
Residenz 1998, S. 284.
16 Peter Handke: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987Â
â Juli 1990. Salzburg, Wien:
Jung und Jung 2005, S. 57. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 67
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471