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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Akteure im literarischen Feld auf die folgende Formel kondensiert, die strukturell von ferne an die doppelte Polemik  – als Autoren- und Kritikerschelte  – des jungen Peter Handke in Princeton erinnert: „Lauter kitschiger und kopfloser Schmar- ren wird gedruckt“, so Bernhards Brief an seinen Verleger vom 1.  August 1985, „das ist ĂŒber so viele Jahre schon deprimierend. Die Schriftsteller sind kunstlose Dummköpfe und die Kritiker sentimentale SchwĂ€tzer.“ 12 Handkes EinwĂ€nde gegen die Literaturkritik erweisen sich bereits auf den ers- ten Blick als differenzierter  – gerade sein frĂŒher Essay Marcel Reich-Ranicki und die NatĂŒrlichkeit (1968) argumentiert, ungeachtet seiner polemischen Agenda, auf hohem literaturtheoretischem Niveau.13 Im Gegensatz zu Bernhard seltener auf pauschale Diffamierungen beschrĂ€nkt, konstatierte Handke gleichwohl seit langer Zeit und in immer neuen AnlĂ€ufen ein fundamentales Unvermögen vieler Kriti- ker, literarische Texte in ihrer spezifischen kĂŒnstlerischen Logik zu begreifen. Das „Kultur geschwĂ€tz deutscher Feuilletonisten“ 14 reizte ihn bei vielen Gelegenheiten zum entschiedenen Widerspruch. Zudem hat Handke ein ums andere Mal gegen die Literaturkritiker den Vorwurf der Unsinnlichkeit erhoben, die mit einer UnfĂ€hig- keit zur vorurteilsfreien LektĂŒre einhergehe: „Sehlustfeindlich“ zu sein, hat er in diesem Sinne Mitte der 1980er Jahre dem „Feuilleton“ in toto attestiert.15 Handkes Neologismus korrespondiert mit einer Klage, die der Autor in gleich mehreren Notaten seiner JournalbĂ€nde festgehalten hat: „So viele, die ĂŒber BĂŒcher schreiben (sich auslassen?), machen diese, gerade die wesentlichen, fĂŒrs erste unleserlich“.16 Die literaturkritische Kommentierung von BĂŒchern eröffne, so Handke, ihm und anderen Lesern in vielen FĂ€llen keine ZugĂ€nge zum Text, keine Wege zu dessen individueller Aneignung, sondern verhindere oft das unbefangene Erleb- nis der LektĂŒre: „Manchmal denke ich auch, daß das Lesen eine Sache von Leu- ten geworden ist, die den anderen das Lesen immer mehr unmöglich machen“, schreibt Handke am 7.  Mai 1974 an Hermann Lenz. WĂ€hrend der LektĂŒre von Franz Nabls Die Ortliebschen Frauen sei ihm, so Handkes Brief an Lenz, bewusst 12 Bernhard an Unseld, 1. 8. 1985. In: ebd., S.  726. 13 Vgl. Norbert Christian Wolf: Autonomie und/oder Aufmerksamkeit? Am Beispiel der medialen Erregungen um Peter Handke, mit einem Seitenblick auf Marcel Reich-Ranicki. In: Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart. Hg. v. Markus Joch, York-Gothart Mix u. N. C. W. TĂŒbingen: Niemeyer 2009, S.  45 – 63, hier S.  53: „Jenseits der Polemik  [
] besticht Handkes metakritische Diagnose durch ihr sprach- liches und intellektuelles Niveau sowie durch ein literaturtheoretisches Problembewusstsein, das man in Reich-Ranickis Rezensionen vergeblich suchen wird.“ 14 AndrĂ© MĂŒller: Im GesprĂ€ch mit Peter Handke. Weitra: Bibliothek der Provinz 1993, S.  54 f. 15 Peter Handke: Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982 – 1987). Salzburg, Wien: Residenz 1998, S.  284. 16 Peter Handke: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987  – Juli 1990. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2005, S.  57. Sehlustfeindliche SchwĂ€tzer 67 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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