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Selbsterforschenâ 23 â bleibt dem abseits der âAktualitĂ€tenâ, abseits der schnell-
lebigen Artikel zum Tag veröffentlichten Buch vorbehalten. Wenn der Autor am
14. November 1986 notiert: âNoch einmal zum Zeitunglesen: das Lesen versĂ€u-
menâ,24 verweist er damit nicht nur auf ein Problem der Zeitökonomie â mehr
ZeitungslektĂŒre bedeutet weniger Zeit fĂŒr das Lesen von Literatur â, sondern
trifft auch eine Unterscheidung zweier miteinander unvereinbarer LektĂŒre-
weisen: eine strikte, zum ManichĂ€ischen tendierende Differenzierung, die fĂŒr
HandkeÂ
â bis heuteÂ
â eine wichtige Rolle spielt: âUnheimlich und unappetitlich
sind die Allesleser (die Zeitschriften genauso lesen wie BĂŒcher, BĂŒcher genauso
wie Zeitungen)â.25 Mit Nachdruck hat Handke nicht erst im Kontext der Dis-
kussionen um seine Haltung zum Jugoslawien-Krieg, sondern schon frĂŒher auf
dem âUnterschied zwischen journalistischer und literarischer Spracheâ 26 bzw.
auf dem âUnterschied zwischen Journalismus und Schriftstellertumâ 27 beharrt.
Insbesondere der âAktualitĂ€tszwangâ des Journalismus steht dabei, wie die For-
schung gezeigt hat, mit Handkes Ideal des âSchĂ€rfen[s] der Aufmerksamkeit fĂŒr
die Einzelheiten durch die verlangsamte LektĂŒreâ in Widerspruch.28 âDie Zeitun-
gen sind, haben von vornherein eine AktualitĂ€tâ, hĂ€lt er in diesem Sinne im Juni
1988, unterwegs im Friaul, an der Grenze zu Jugoslawien, fest; âdas Buch, auch
perspektiven. Hg. v. Eduard Beutner u. Ulrike Tanzer. Innsbruck u. a.: StudienVerlag 2010,
S. 140 â 149.
23 Peter Handke: Fragment zu Friederike Mayröcker. [2009] In: P. H.: Tage und Werke (Anm.Â
21),
S. 47 â 48, hier S. 47.
24 Handke: Am Felsfenster morgens (Anm. 15), S. 418.
25 Handke: Phantasien der Wiederholung (Anm. 21), S. 85.
26 Peter Handke: Ein Brief. [2006] In: P. H.: Tage und Werke (Anm. 21), S. 41 â 42, hier S. 41 f. â
Auch an einer zentralen Stelle gegen Ende der vieldiskutierten Winterlichen Reise (1996) hat
Handke den Unterschied zwischen literarischer und journalistischer WelterschlieĂung hervor-
gehoben: âMeine Arbeit ist eine andere. Die bösen Fakten festhalten, schon recht. FĂŒr einen
Frieden jedoch braucht es noch anderes, was nicht weniger ist als die Fakten.â (Peter Handke:
Eine winterliche Reise zu den FlĂŒssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fĂŒr
Serbien. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996, S. 133)
27 Rosina Katz-Logar: âLiteratur ist wie ein Schlagerâ. [GesprĂ€ch mit Peter Handke.] In: Kleine
Zeitung, 17. 5. 2007. Vgl. auch Adolf Haslinger: In treusorgender Ironie. In: Peter Handke/A. H.:
Einige Anmerkungen zum Da- und zum Dort-Sein. Ehrendoktorat an Peter Handke durch die
UniversitĂ€t Salzburg. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2004, S.Â
13 â 34, hier S.Â
24: âWas ihn dabei
zum Gegenentwurf reizt, ist [âŠ] die von Meinungen, Stellungnahmen, Informationen ver-
stellte Welt, jene der tÀglichen Schrift, des Journalismus und des gedankenlosen, ahnungslosen
Geplappers.â Noch in seinem bislang letzten Journalband notiert Handke 2011: âMeinungen,
Meinungen, immer nur Meinungen! Auf die Almen mit euch, damit ihr das ErzĂ€hlen lerntâ
(Peter Handke: Vor der Baumschattenwand nachts. Zeichen und AnflĂŒge von der Peripherie.
2007 â 2015. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2016, S. 148).
28 Heiko Christians: Der Roman vom Epos. Peter Handkes âPoetik der Verlangsamungâ. In: Hof-
mannsthal. Jahrbuch zur europĂ€ischen Moderne 10 (2002), S. 357 â 389, hier S. 382.
Sehlustfeindliche SchwÀtzer 69
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471