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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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zu können meinte. Schon im Essay Zur Tagung der Gruppe 47 in USA, im Juni 1966 als Rechtfertigung und Nachbetrachtung seines Princetoner Auftritts in der Zeitschrift konkret veröffentlicht, hatte Handke Walter Höllerer, „von dem man doch einige gute Gedichte kennt“, vorgeworfen, „in der Prosa einfach die Sprache Sprache sein [zu] lassen“ und „wie ein Reporter“ zu schreiben, was die in Princeton vorgelesene Geschichte „unrein“ gemacht habe: „[A]lle Worte und Wendungen waren gedankenlos hingeschrieben.“ 61 Seine Abneigung gegenĂŒber den „Zeitungsschriftstellern“, die, wie er 1977 in einer Ă€ußerst zwiespĂ€l tigen Lau- datio auf Herbert Achternbusch formuliert, als handle es sich um eine schwer zu kurierende Erkrankung, „das Meinen haben“,62 hat Handke immer wieder zu pointierten Distinktionsgesten Anlass gegeben. Dabei geht die Kritik an den Schreibverfahren anderer Autorinnen und Autoren stets mit der Reflexion der eigenen Arbeit Hand in Hand: „Aus dem Urteilen und Meinen zieh dich zurĂŒck in die Unschuld des ErzĂ€hlens, wie in den Epikurschen Garten“, hĂ€lt er Anfang August 1989 in St.  Moritz im Journalband Gestern unterwegs fest, um einige Monate spĂ€ter auf dem Weg durch Frankreich zu ergĂ€nzen: „Gegen all das Meinen und Urteilen (meines), mit dem ich mir im Älterwerden hĂ€ĂŸlicher und hĂ€ĂŸlicher, hassenswerter und hassenswerter werde, möchte ich, drĂ€ngt es mich, eine regelrechte Wallfahrt zu unternehmen“.63 Nimmt man Handkes Kommentare zur österreichischen Gegenwartslite- ratur in den Blick, dann fĂ€llt auf, dass er sich im Zeichen der Unterscheidung zwischen Literatur und Journalismus von ganz unterschiedlichen, kaum auf einen gemeinsamen literarĂ€sthetischen Nenner zu bringenden Autorinnen und Autoren distanziert hat: Sein Verdikt trifft Thomas Bernhard, dem er 1986 im GesprĂ€ch mit Herbert Gamper vorwarf, er schreibe so, „wie wenn ein 61 Peter Handke: Zur Tagung der Gruppe 47 in USA. [1966] In: P. H.: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1972, S.  29 – 34, hier S.  33. 62 Peter Handke: Zu Herbert Achternbusch. [1977] In: P. H.: Das Ende des Flanierens. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980, S.  101 – 105, hier S.  101. Als schriftstellerisches Gegenprogramm, das sich fĂŒr ihn aus seinen ernĂŒchternden Wahrnehmungen zum Problem des ‚Meinens‘ ergibt, skizziert Handke im MĂ€rz 1977, also im Jahr der Achternbusch-Laudatio, auf der vorletzten Seite des Journalbandes Das Gewicht der Welt das folgende Vorgehen: „Das Betrachten so lange aushalten, das Meinen so lange aufschieben, bis sich die Schwerkraft des LebensgefĂŒhls ergibt“ (Handke: Das Gewicht der Welt [Anm.  53], S.  324). Zum Gegensatz von ‚Meinen‘ und ‚ErzĂ€hlen‘ bei Handke vgl. Katrin Kohl: Poetologische Metaphern. Formen und Funktionen in der deutschen Literatur. Berlin, New York: de Gruyter 2007, S.  373 f.; Wagner: Bernhard, Handke und die österreichische Literatur (Anm.  6), S.  42.  – Dass „Urteil und Meinung in den ErzĂ€hlungen Stifters“ „kaum vorhanden“ seien, kann in diesem Zusammenhang etwa als ausdrĂŒckliches Lob gelten (Peter Handke: Einige Bemerkungen zu Stifter. [1991] In: P. H.: Langsam im Schatten. Gesammelte Verzettelungen. 1980 – 1992. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992, S.  55 – 57, hier S.  56). 63 Handke: Gestern unterwegs (Anm.  16), S.  435 u.  510. Vom Zeitungswahnsinn bedroht 79 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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