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sein schriftstellerisches Ethos, sei das âErzĂ€hlenâ doch, wie es im Versuch ĂŒber
die MĂŒdigkeit (1989) heiĂt, die âursprĂŒnglich am meisten von Meinungen freie[Â
],
weitherzigste[Â ] Weise zu redenâ.68
Mit Nachdruck hat sich Handke gegen die âheteronomen ZwĂ€nge[Â
], die auf
die kĂŒnstlerischen Felder heute seitens des journalistischen Feldes und des Fel-
des der Macht einwirkenâ,69 zur Wehr zu setzen versucht, hat darauf insistiert,
die âGeistlosigkeitâ70 der journalistischen MeinungsfĂŒhrer von der sprachlichen
SensibilitÀt literarischen ErzÀhlens zu unterscheiden. Obgleich seine Reflexionen
zu diesem Komplex mitunter apodiktisch anmuten und einen gewissen Hang
zur polemischen Zuspitzung verraten,71 zeigen sie dessen ungeachtet ein hohes
Problembewusstsein fĂŒr den Status literarischen Schreibens und sprachlicher
Weltaneignung in der Informations- und Mediengesellschaft des spÀten 20. bzw.
frĂŒhen 21.Â
Jahrhunderts. Immer wieder sind Handkes Invektiven gegen den Ein-
bruch journalistischer Verfahren ins Literarische zudem mit dem Vorwurf an die
Schriftsteller verknĂŒpft, als âgeschĂ€ftigeâ72 und âgeschĂ€ftstĂŒchtigeâ Autoren hetero-
nomen Prinzipien zu folgen und ihr Schreiben, auf bessere Marktchancen und
68 Peter Handke: Versuch ĂŒber die MĂŒdigkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989, S. 29. Zur Stel-
lung des ersten Versuchs im Werkzusammenhang vgl. Dominik Srienc: âAber das Schreiben
war Existenz non plus ultraâ. Peter Handke, der Bleistift und der Versuch ĂŒber die MĂŒdigkeit.
In: Peter Handke. Stationen, Orte, Positionen. Hg. v. Anna Kinder. Berlin, Boston: de Gruyter
2014, S. 153 â 171.
69 Wolf: Autonomie und/oder Aufmerksamkeit? (Anm.Â
13), S.Â
63, mit Bezug auf Bourdieus Litera-
tursoziologie. Vgl. auch ebd., S.Â
49, ĂŒber âHandkes offensichtliches Ansinnen, denÂ
[âŠ] wach-
senden Einfluss des journalistischen Feldes auf andere, vordem autonomere Felder kultureller
Produktion zu konterkarierenâ, sowie sein Bestreben, âder Funktionsweise des immer stĂ€rker
ausschlieĂlich den Anforderungen eines homogenisierenden Massenmarktes unterworfenen
journalistischen Feldes ein kontrĂ€res kĂŒnstlerisches KalkĂŒl entgegenzusetzen, das auf Auto-
nomie pochtâ.
70 Vgl. Peter Handke: Am Felsfenster, morgens. In: manuskripte 27 (Oktober 1987), H.Â
97, S.Â
3 â 9,
hier S.Â
9: âNichts Geistloseres als Meinungenâ (10. 5. 1987), zuvor bereits: âDie meisten, die fĂŒr
Zeitungen schreiben, kann ich mir nicht schreibend vorstellen, nur diktierendâ (3. 5. 1987);
beide Notate wurden in die Buchfassung des Journals, Am Felsfenster morgens (1998), nicht
aufgenommen.
71 Nicht selten geht Handkes Medienschelte in eine umfassende Zivilisationskritik ĂŒber. Vgl.
Thorsten Carstensen: Romanisches ErzÀhlen. Peter Handke und die epische Tradition. Göt-
tingen: Wallstein 2013, S. 31 f.: âHandkes Erneuerung der epischen Tradition wird begleitet
von einer â mitunter plakativ ĂŒbersteigerten â Kritik an der postmodernen Lebensweltâ, etwa
vom Widerstand â[g]egen die Akzeleration des Alltagslebensâ. Dazu auĂerdem Christians: Der
Roman vom Epos (Anm.Â
28), S.Â
373 f. Auch Ilma Rakusas lesenswerter Essay Lamgsamer! nimmt
auf Handkes Poetik Bezug; vgl. Ilma Rakusa: Langsamer! Gegen Atemlosigkeit, Akzeleration
und andere Zumutungen. Graz, Wien: Droschl 52008, bes. S. 32 â 34.
72 Vgl. dazu bereits den Mitte der 1960er Jahre gegen Martin Walser erhobenen Vorwurf in Peter
Handke: âBĂŒchereckeâ vom 5. 7. 1965. In: P. H.: Tage und Werke (Anm.Â
21), S.Â
225 â 232, hier S.Â
225:
âMartin Walser ist unter den jĂŒngeren deutschen Autoren in seinem Metier der geschĂ€ftigste.â
Vom Zeitungswahnsinn bedroht 81
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471