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Dankbarkeit oder das EingestÀndnis, von anderen Akteuren des literarischen
Feldes Hilfe und UnterstĂŒtzung erhalten zu haben, waren von Bernhard jedoch
nicht zu bekommen. So wie er immer wieder auf der Existenz einer âgrundsĂ€tz-
lich feindlichen Einstellung fast der gesamten Lebensumgebungâ ihm gegenĂŒber
insistierte,77 unterstrich er auch die angeblich feindliche Einstellung fast aller Kri-
tiker mit groĂer RegelmĂ€Ăigkeit. Hier wie dort handelt es sich um die Stilisierung
eines Autors, der wiederholt betont hat, die Kraft fĂŒr sein Schreiben aus dem
âWiderstandâ, aus der âVerteidigungâ zu gewinnen â und an diesem âWiderstandâ
zu wachsen: âEs sind lauter WiderstĂ€nde von Anfang anâ, heiĂt es exemplarisch
im 1970 von Ferry Radax gedrehten Film-Monolog Drei Tage, âwahrscheinlich
schon immer gewesen. [âŠ] Das Gehirn braucht WiderstĂ€nde.â (TBW 22.2, 57)
Weil ihm âWiderstĂ€ndeâ, so Bernhard weiter, âalles bedeutenâ, wird das andau-
ernde âZur-Wehr-Setzenâ im SelbstverstĂ€ndnis des Autors zur Leitvorstellung
seiner Poetik (TBW 22.2, 62 f.).78 In diesem Narrativ, das Bernhard bei verschie-
denen Gelegenheiten und in diversen Textsorten ausgestaltet hat, wĂŒrde das
Ausbleiben der WiderstĂ€nde, wĂŒrde das Fehlen der Feinde die ProduktivkrĂ€fte
des Autors ganz wesentlich schwÀchen.
Sich von den Kritiken seiner BĂŒcher, seien sie positiv oder negativ, im Grunde
nie verstanden zu fĂŒhlen â diesen Eindruck hat Thomas Bernhard wiederholt
geĂ€uĂert: âIch habe, glaube ich, noch nie etwas gelesen, wovon ich denken konnte:
Das ist gut so, genau das denke ichâ, so der Autor 1978 im GesprĂ€ch mit Nicole
Casanova (TBW 22.2, 148).79 Mehrmals hat er diesen Umstand, nach den GrĂŒn-
den fĂŒr das angeblich weitverbreitete UnverstĂ€ndnis befragt, auf die mangelnde
musikalische SensibilitĂ€t der Kritikerriege zurĂŒckgefĂŒhrt, die nicht in der Lage
sei, die âZwischentöneâ seiner Texte wahrzunehmen. Dies habe, wie Bernhard
im Interview mit Armin Eichholz betont, zu einer einseitigen LektĂŒre seines
Werks und zu einer entsprechenden Wahrnehmung seiner Person beigetragen:
âAber die ZwischentöneÂ
â wer versteht denn das heut? Brauchen Sâ bloĂ die Kri-
tiken lesenÂ
â wenn ich mir das anschauâ, ist das vollkommen humorlos und blöd.
77 Mittermayer: Thomas Bernhard [2015] (Anm. 42), S. 358.
78 Vgl. in diesem Zusammenhang, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen, auch Bernhards
ĂuĂerung im GesprĂ€ch mit Rudolf Bayr ĂŒber die biographischen Voraussetzungen des 1975
publizierten Bandes Die Ursache: âIch glaube, irgendeinen FuĂtritt, und zwar einen ganz ent-
scheidenden, muĂ jeder im Leben bekommen. Oder eine Ohrfeige, die einen gleich aus dem
Haus und ĂŒber die StraĂe hinaushaut. Sonst geht das nicht. Das ist notwendig, da bin ich ganz
ĂŒberzeugt.â (TBW 22.2, 71)
79 Dazu Bernhards anschlieĂende EinschrĂ€nkung: âAber zweifelsohne gibt es dieses GefĂŒhl gar
nicht. Wenn jemand ganz genau die Gedanken eines anderen wiedergeben könnte, dann mĂŒĂte
er schweigen, weil er sonst vollstĂ€ndig aufgesaugt und verschlungen wĂŒrde. Dann geht man
weg, man rettet sein Leben, indem man sich in die LĂŒge und die OberflĂ€chlichkeit flĂŒchtet,
wie ein Ertrinkender, der kĂ€mpft, um dem Strudel zu entkommen.â (TBW 22.2, 148 f.)
Unfreundliche Betrachtungen: EinwÀnde gegen die
Literaturkritik84
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471