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In Ăsterreich jedoch habe Frost, so Bernhards bitteres ResĂŒmee, ânicht eine
einzige positive Besprechung gehabt, im Gegenteilâ; das Buch sei, wie er noch
an einer weiteren Stelle des Textes betont, âgleich bei seinem Erscheinen aus-
nahmslos von allen österreichischen Zeitungen heruntergemacht wordenâ. Zudem
seien die Besprechungen ânicht an gehöriger Stelleâ erschienen, âwie ich es mir
vorgestellt hatte, sondern irgendwo links oder rechts unten, wo die NichtswĂŒr-
digkeiten und die Verachtung von jeher ihren Platz habenâ (TBW 22.2, 414).89
AuĂerhalb Ăsterreichs sei Frost und ganz allgemein sein frĂŒhes Prosa
werk indes
sehr viel freundlicher und wertschÀtzender aufgenommen worden. Einen Beleg
fĂŒr diese Behauptung sah Bernhard etwa in der Zuerkennung eines Arbeits-
stipendiums zum Julius-Campe-Preis im Jahr 1964, dessen UmstÀnde er ebenfalls
in Meine Preise behandelt, wobei er erneut die Dichotomie zwischen Deutsch-
land und Ăsterreich ins Spiel bringt: âAus Hamburg habe ich den Preis bekom-
men, aus Hamburg, aus Hamburg, dachte ich immer wieder und ich verachtete
die Ăsterreicher insgeheim, die mir bis dahin noch niemals auch nur die Spur
einer Anerkennung gezeigt hatten. Von der Nordsee herunter war die Kunde
gekommen, von der Binnenalster!â (TBW 22.2, 398)90 In einem nicht datierten
GesprÀch mit dem Journalisten Kurt Hofmann hat Bernhard noch einmal auf
die ungleiche Behandlung seines DebĂŒtromans in der österreichischen und
deutschen Literaturkritik hingewiesen:
[A]ls âFrostâ erschien, ist es ja hier sowieso völlig abgelehnt worden. Ich weiĂ noch,
daĂ die Leutâ, die heute noch fesch drauflos schreiben, alle geschrieben haben, das ist
eine Talentprobe, doch wir werden nie mehr was davon hören, von diesem JĂŒngling
da in Salzburg. Es ist ja wurscht, jeder kann ja schreiben, was er will. Ermutigend war
es nicht. Wenn nicht drauĂen [!] ein paar Kritiken erschienen wĂ€ren, die an sich auch
blöd waren, aber groĂ aufgemacht, wĂ€râs vielleicht schiefgegangen.91
Kulturbetrieb der Gegenwart. Hg. v. Markus Joch, York-Gothart Mix u. Norbert Christian Wolf.
TĂŒbingen: Niemeyer 2009, S. 23 â 43, hier S. 31. Zuckmayer hatte bereits Bernhards GroĂvater
Johannes Freumbichler durch Vermittlung und FĂŒrsprache unterstĂŒtzt. Vgl. Caroline Markolin:
Die GroĂvĂ€ter sind die Lehrer. Johannes Freumbichler und sein Enkel Thomas Bernhard. Salz-
burg: Otto MĂŒller 1988, S. 133 â 139.
89 Der Kommentar der Werkausgabe verzeichnet lediglich die Rezensionen in der SĂŒddeutschen
Zeitung (Otto F. Beer), der ZEIT (Carl Zuckmayer) und der Weltwoche (Urs Jenny) und geht
auf die Rezeption in Ăsterreich nicht genauer ein (vgl. TBW 1, 354 f.); zur Rezeption von Frost
vgl. auch Mittermayer: Thomas Bernhard [2015] (Anm. 42), S. 153 f.; Andreas GöĂling: Frost.
In: Bernhard-Handbuch (Anm. 75), S. 37 â 46, bes. S. 37 u. 43.
90 Vgl. dazu Brigitte Prutti: FestzertrĂŒmmerungen. Thomas Bernhard und seine Preise. Bielefeld:
Aisthesis 2012, S.Â
96: âDer parodistische Tonfall in der zitierten Passage kontrastiert die Offenba-
rung aus dem Norden mit der Verkennung des Propheten im eigenen Land.Â
[âŠ] Keine Erhöhung
durch Andere ohne das Pendant der Verachtung von Anderen, gegen die sie sich vollzieht.â
91 Hofmann: Aus GesprÀchen mit Thomas Bernhard (Anm. 4), S. 48.
âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 89
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471