Seite - 89 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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In Österreich jedoch habe Frost, so Bernhards bitteres Resümee, „nicht eine
einzige positive Besprechung gehabt, im Gegenteil“; das Buch sei, wie er noch
an einer weiteren Stelle des Textes betont, „gleich bei seinem Erscheinen aus-
nahmslos von allen österreichischen Zeitungen heruntergemacht worden“. Zudem
seien die Besprechungen „nicht an gehöriger Stelle“ erschienen, „wie ich es mir
vorgestellt hatte, sondern irgendwo links oder rechts unten, wo die Nichtswür-
digkeiten und die Verachtung von jeher ihren Platz haben“ (TBW 22.2, 414).89
Außerhalb Österreichs sei Frost und ganz allgemein sein frühes Prosa
werk indes
sehr viel freundlicher und wertschätzender aufgenommen worden. Einen Beleg
für diese Behauptung sah Bernhard etwa in der Zuerkennung eines Arbeits-
stipendiums zum Julius-Campe-Preis im Jahr 1964, dessen Umstände er ebenfalls
in Meine Preise behandelt, wobei er erneut die Dichotomie zwischen Deutsch-
land und Österreich ins Spiel bringt: „Aus Hamburg habe ich den Preis bekom-
men, aus Hamburg, aus Hamburg, dachte ich immer wieder und ich verachtete
die Österreicher insgeheim, die mir bis dahin noch niemals auch nur die Spur
einer Anerkennung gezeigt hatten. Von der Nordsee herunter war die Kunde
gekommen, von der Binnenalster!“ (TBW 22.2, 398)90 In einem nicht datierten
Gespräch mit dem Journalisten Kurt Hofmann hat Bernhard noch einmal auf
die ungleiche Behandlung seines Debütromans in der österreichischen und
deutschen Literaturkritik hingewiesen:
[A]ls ‚Frost‘ erschien, ist es ja hier sowieso völlig abgelehnt worden. Ich weiß noch,
daß die Leut’, die heute noch fesch drauflos schreiben, alle geschrieben haben, das ist
eine Talentprobe, doch wir werden nie mehr was davon hören, von diesem Jüngling
da in Salzburg. Es ist ja wurscht, jeder kann ja schreiben, was er will. Ermutigend war
es nicht. Wenn nicht draußen [!] ein paar Kritiken erschienen wären, die an sich auch
blöd waren, aber groß aufgemacht, wär’s vielleicht schiefgegangen.91
Kulturbetrieb der Gegenwart. Hg. v. Markus Joch, York-Gothart Mix u. Norbert Christian Wolf.
Tübingen: Niemeyer 2009, S. 23 – 43, hier S. 31. Zuckmayer hatte bereits Bernhards Großvater
Johannes Freumbichler durch Vermittlung und Fürsprache unterstützt. Vgl. Caroline Markolin:
Die Großväter sind die Lehrer. Johannes Freumbichler und sein Enkel Thomas Bernhard. Salz-
burg: Otto Müller 1988, S. 133 – 139.
89 Der Kommentar der Werkausgabe verzeichnet lediglich die Rezensionen in der Süddeutschen
Zeitung (Otto F. Beer), der ZEIT (Carl Zuckmayer) und der Weltwoche (Urs Jenny) und geht
auf die Rezeption in Österreich nicht genauer ein (vgl. TBW 1, 354 f.); zur Rezeption von Frost
vgl. auch Mittermayer: Thomas Bernhard [2015] (Anm. 42), S. 153 f.; Andreas Gößling: Frost.
In: Bernhard-Handbuch (Anm. 75), S. 37 – 46, bes. S. 37 u. 43.
90 Vgl. dazu Brigitte Prutti: Festzertrümmerungen. Thomas Bernhard und seine Preise. Bielefeld:
Aisthesis 2012, S.
96: „Der parodistische Tonfall in der zitierten Passage kontrastiert die Offenba-
rung aus dem Norden mit der Verkennung des Propheten im eigenen Land.
[…] Keine Erhöhung
durch Andere ohne das Pendant der Verachtung von Anderen, gegen die sie sich vollzieht.“
91 Hofmann: Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard (Anm. 4), S. 48.
„vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 89
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471