Seite - 13 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ:
EINE ART EINLEITUNG
In einem Beitrag zum Almanach des Salzburger Residenz Verlags hat Alois
Brandstetter Anfang der 1980er Jahre seine Situation als Autor mit jener seines
Vaters verglichen: So wie dieser als BĂ€cker ĂŒberzeugt gewesen sei, negative Reak-
tionen auf seine Ware seien nicht auf deren QualitÀt, sondern auf seine politi-
schen Ansichten zurĂŒckzufĂŒhren, so denke er mitunter, âdaĂ dem oder jenem
Kritiker eigentlich weniger mein Buch als meine Nase nicht gefĂ€lltâ: âSo macht
man bei sich bisweilen auch aus einem sachlichen Gegner einen persönlichen
Feind.â 1 TatsĂ€chlich sind die Grenzen zwischen sachlichem Einwand und per-
sönlicher Idiosynkrasie im VerhÀltnis von Kritikerinnen und Kritikern einerseits
und Autorinnen und Autoren andererseits oft flieĂend, wobei Entsprechendes auf
beiden Seiten zu beobachten ist: âMan wirdâ, so Brandstetter weiter, ânicht weit
fehlgehen, wenn man annimmt, daĂ auch den Kritikern, den unbestechlichen, so
wenig das Menschliche fremd ist wie den Autoren, die um Anerkennung ringen.â 2
Widmet man sich der Beziehung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern
zur Literaturkritik, dann betritt man ein umkÀmpftes Feld, in dem seriöse Ver-
handlungen ĂŒber Ă€sthetische Fragen nicht selten in persönliche GehĂ€ssigkeiten
ĂŒbergehen; fĂŒr âProzesse der literarischen Kommunikation zwischen Kritikern,
rezensierten Autoren und anderen Adressaten der Kritikâ spielen, so Thomas
Anz, die âEmotionen der Beteiligten eine erhebliche Rolleâ.3 Gerade der Umstand,
dass die einen coram publico ĂŒber die Arbeiten der anderen urteilen, birgt ein
enormes Konfliktpotential, das sich im Laufe der Literaturgeschichte immer
wieder in heftigen Kontroversen entladen hat. Die Institution der Literaturkritik
ist ohne die Gegenrede der Autorinnen und Autoren, die sie fehlender Àstheti-
scher SensibilitÀt bezichtigen und ihr Blindheit, Unsinnlichkeit, Hochmut und
PrÀpotenz vorwerfen, kaum zu denken.
Ein ums andere Mal haben sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller gegen
Urteile der Literaturkritik zur Wehr gesetzt und pointierte, meist wenig schmei-
chelhafte Bilder des derart attackierten Berufsstandes entworfen: Heinrich Heine
1 Alois Brandstetter: Selig sind die Feindseligen, fertig sind die Friedfertigen. In: Mein(e) Feind(e).
Literaturalmanach 1982. Hg. v. Jochen Jung. Salzburg, Wien: Residenz 1982, S.Â
29 â 32, hier S.Â
29.
2 Ebd.
3 Thomas Anz: Werten und FĂŒhlen. Zur RationalitĂ€t und EmotionalitĂ€t literaturkritischer Kom-
munikation â am Beispiel von Marcel Reich-Ranicki. In: Literaturkritik heute. Tendenzen â
Tradi
tionenÂ
â Vermittlung. Hg. v. Heinrich Kaulen u. Christina Gansel. Göttingen: V&R unipress
2015, S. 13 â 25, hier S. 14.
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471