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Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) Der Kritiker als Hund, dem der „Geifer“ fortwĂ€hrend aus dem Maul tropft 292  – ohne explizit auf die Lehre der Sainte-Victoire Bezug zu nehmen, aktuali- sierte der Spiegel im Buchmessen-Herbst 1993 Handkes wenig schmeichelhafte MRR-Ikonographie: Das Cover des Magazins vom 4.  Oktober zierte, unter dem Titel „Der Verreißer“, Reich-Ranickis Kopf auf dem Körper und mit den Ohren eines Hundes, eben im Begriff, ein Buch zu verschlingen. In der Lehre der Sainte-Victoire hatte Handkes wanderndes Alter Ego der „Dogge von Puyloubier“ durch den Zaun „eine gelbe Pariser MĂ©trofahrkarte“ zugeworfen, „und der Hund verwandelte sich auf der Stelle in einen Marder, die bekannt- lich Allesfresser sind, und schlang mein Papier hinunter“.293 Hier wie dort, in der fiktionalen ErzĂ€hlung wie im investigativen Nachrichtenmagazin, handelt es sich um einen Akt der Papyrophagie, der nicht den genĂŒsslichen Verzehr eines Gourmets, sondern den rabiaten Hunger eines nicht eben wĂ€hlerischen Omnivoren ins Visier nimmt. Reich-Ranicki konnte fĂŒr das provokante Cover des Spiegels wenig VerstĂ€nd- nis aufbringen: Er fĂŒhlte sich an die Bildsprache antisemitischer Hetze erin- nert und protestierte in einem ‚KrisengesprĂ€ch‘ mit Volker Hage und Hellmuth Karasek heftig: Es handle sich, so der Karikierte, um „eine Infamie  [
] im tief nationalsozialistischen Sinne“;294 den Einwand Karaseks, die Vorlage des Titelsujets stamme aus der satirischen Wochenschrift Simplicissimus,295 wollte er nicht gelten lassen, vielmehr sah er darin eine schĂ€ndliche Verunglimpfung der gesamten Kritiker-Profession. Ein literarischer „Allesfresser“ wollte Reich- Ranicki ebenso wenig sein wie ein „Zerberus“ des Literaturbetriebs,296 obgleich 292 Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire (Anm.  10), S.  56. 293 Ebd., S.  58 f. 294 Marcel Reich-Ranicki im GesprĂ€ch mit Volker Hage und Hellmuth Karasek, Oktober 1993. In: https://www.spiegel.de/video/reich-ranicki-karasek-hage-video-99010556.html (Stand 14. 10. 2020), 01:10 – 01:20. Vgl. dazu auch Hage/Schreiber: Marcel Reich-Ranicki (Anm.  57), S.  147 – 149; Steiner: Literatur als Kritik der Kritik (Anm.  29), S.  144, Anm.  20. 295 Vgl. die Abb. in: Simpliccismus 1896 – 1933. Die satirische Wochenschrift. Hg. v. Reinhard Klimmt u. Hans Zimmermann. Stuttgart: LangenMĂŒller 2018. 296 Diese Funktion hatte Peter Turrini den Kritikern bereits 20  Jahre zuvor in toto zugeschrieben. Siehe Peter Turrini: Kulturkritik. [1974] In: P. T.: Mein Österreich. Reden, Polemiken, AufsĂ€tze. Darmstadt: Luchterhand 1988, S.  27 – 39, hier S.  29 u.  34.  – Auch die Schilderung in Die Lehre der Sainte-Victoire spielt auf die Figur des Zerberus an, wenn Handke aus dem Sechsten Gesang von Dantes Inferno zitiert, in dem das „Untier Zerberus“ auftritt (Dante Alighieri: Die göttliche Komödie. Aus dem Italienischen v. Philaletes. ZĂŒrich: Diogenes 1991, S.  39).  – Vgl. Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire (Anm.  10), S.  58: „und der Stacheldraht zwischen uns, wie im alten Gedicht, wieder als ewiger, vermaledeiter, kalter, schwerer Regen, durch den hindurch ich, geistesgegenwĂ€rtig und tagtrĂ€umend zugleich, den Feind betrachtete“; dazu im Detail Albes: „Mein Feind in Deutschland“: Peter Handke vs. Marcel Reich-Ranicki204 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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