Seite - 27 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:
KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK
Legitimationen und Strategien
Polemisches Sprechen und Schreiben hat, selbst wenn das Objekt der Polemik
explizit benannt wird, nicht selten mehrere Adressaten, und es weist, zumal in
seiner Ă€sthetisch produktiven Form, ĂŒber das VerhĂ€ltnis zwischen âAngreiferâ
und âAngegriffenemâ hinaus. Peter von Matt hat in diesem Sinne am Beispiel
Lessings und Heines betont, dass der âwahre Adressatâ polemischer Schriften
in vielen FĂ€llen âder Leserâ bzw. âdas Publikumâ sei, welches âdas Hin und Herâ
der Argumente âgenuĂvollâ verfolge; der Leser oder die Leserin sei demnach,
so von Matts Fazit, âdie eigentliche Waffe des Polemikersâ.1 Wie im Rahmen der
vorliegenden Arbeit anhand ausgewÀhlter Konstellationen um Thomas Bernhard,
Peter Handke und die Literaturkritik gezeigt wird, erweisen sich die Netze pole-
mischer Kommunikation als ĂŒberaus komplex und lassen sich, will man der
ProduktivitÀt des Agonalen im literarischen Feld auf die Spur kommen, kaum
je auf die Konfrontation zweier Akteure reduzieren.
Bringt etwa ein Autor wie Peter Handke zur Bestimmung seines eigenen
Schreibprojekts die Unterscheidung zwischen Literatur und âNicht-Literaturâ,2
zwischen Schriftsteller und âNicht-Schriftstellerâ,3 zwischen BĂŒchern und âUn-
BĂŒchernâ 4 ins Spiel, liegt es nahe, eine zumindest zweifache Adressierung dieser
Statements zu konstatieren: Sie können einerseits, mit Pierre Bourdieu gespro-
chen, als ostentative âExkommunikationenâ 5 aus dem Bereich des Literarischen
begriffen werden, fĂŒr die der âKampf um symbolische Macht und kulturelle
LegitimitĂ€tâ eine entscheidende Rolle spielt.6 Die Denunziation richtet sich also
1 Peter von Matt: Grandeur und Elend literarischer Gewalt. Die Regeln der Polemik. In: P. v. M.:
Das Schicksal der Phantasie. Studien zur deutschen Literatur. MĂŒnchen, Wien: Hanser 1994,
S. 35 â 42, hier S. 41 f.
2 Peter Handke: Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982 â 1987). Salzburg, Wien:
Residenz 1998, S. 452.
3 Peter Handke: Phantasien der Wiederholung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983, S. 90.
4 Peter Handke: MiĂglĂŒckte Heimat. [2004] In: P. H.: Meine Ortstafeln. Meine Zeittafeln.
1967 â 2007. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2007, S. 341 â 345, hier S. 345.
5 Pierre Bourdieu: Das literarische Feld. In: P. B.: Kunst und Kultur. Kunst und kĂŒnstlerisches
Feld. Schriften zur Kultursoziologie 4. Hg. v. Franz Schultheis u. Stephan Egger. Berlin: Suhr-
kamp 2015, S. 339 â 447, hier S. 363.
6 Nach Markus Joch und Norbert Christian Wolf: Feldtheorie als Provokation der Literaturwissen-
schaft. Einleitung. In: Text und Feld. Bourdieu in der literaturwissenschaftlichen Praxis. Hg. v.
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471