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Was Bernhard hier mit dem Brustton der Ăberzeugung und der Verve des auf
Differenzierung wenig bedachten Polemikers konstatiert, hĂ€lt einer ĂberprĂŒfung
allerdings nicht einmal in AnsĂ€tzen stand. Von einer âausnahmslosenâ Ablehnung
seines Romans in der österreichischen Presse kann keineswegs die Rede sein;
vielmehr Ă€uĂerten sich die fĂŒhrenden Zeitungen in Wien und in den Bundes-
lĂ€ndern fast durchwegs positiv ĂŒber Bernhards DebĂŒt. Was die Forschung zur
autobiographischen Pentalogie lĂ€ngst im Detail herausgearbeitet hat,92 ist auch fĂŒr
die Erinnerungen in Meine Preise zu betonen: Sie sind in einem erheblichen MaĂ
durch Stilisierung und der erzÀhlerischen Struktur geschuldete Dramatisierung
geprĂ€gt.93 Die âbösartige[Â
] Verleumdungâ, der Bernhard in der Zeit der Abfassung
von Meine Preise seine âExistenz als Schriftsteller in ĂsterreichÂ
[âŠ] von Anfang
anâ ganz grundsĂ€tzlich ausgesetzt sah, die vollstĂ€ndige âIgnorationâ, unter der er,
âsolangeâ er âschreibe und veröffentlicheâ, leide (TBW 22.1, 665), war immer auch
das Produkt einer betont einseitigen Wahrnehmung seiner Rezeption. Zuletzt
hat der Wiener Germanist GĂŒnther Stocker darauf hingewiesen, dass Bernhards
Werk zwar stets âumstrittenâ gewesen sei, gleichzeitig jedoch âvon Beginn an
Institutionen und Personen [âŠ] sein Schaffen und dessen Verbreitungâ â etwa
durch wohlwollende Rezensionen, aber auch durch Publikations- und Auftritts-
möglichkeiten â ânachhaltig fördertenâ.94 Die Schilderung des eigenen Werde-
gangs, die mitunter an die âLeidenskataloge einer Passionsgeschichteâ erinnert,
weist bei Bernhard stets ein erhebliches MaĂ an âSelbststili sierungâ auf;95 sein
VerhÀltnis zur Literaturkritik bildet dabei keine Ausnahme.
92 Vgl. dazu bereits die Untersuchung von Reinhard Tschapke: Hölle und zurĂŒck. Das Initiations-
thema in den Jugenderinnerungen Thomas Bernhards. Hildesheim u. a.: Olms 1984; fĂŒr die spĂ€-
tere Forschungsdiskussion seien nur die folgenden drei AufsÀtze exemplarisch genannt: Walter
Pape: âMich interessiert nur mein Körper und mein Kopf und sonst gar nichtsâ. ErzĂ€hle rische
und autobiographische SubjektivitÀt bei Thomas Bernhard. In: Geschichte und Vorgeschichte
der modernen SubjektivitĂ€t. Hg. v. Reto Luzius Fetz, Roland HagenbĂŒchle u. Peter Schulz.
Bd. 2. Berlin, New York: de Gruyter 1998, S. 1174 â 1197; Manfred Mittermayer: âDer Wahr-
heitsgehalt der LĂŒgeâ. Thomas Bernhards autobiographische Inszenierungen. In: Spiegel und
Maske. Konstruktionen biographischer Wahrheit. Hg. v. Bernhard Fetz u. Hannes Schweiger.
Wien: Zsolnay 2006, S. 79 â 94; Olaf Kramer: Wahrheit als LĂŒge, LĂŒge als Wahrheit. Thomas
Bernhards Autobiographie als rhetorisch-strategisches Konstrukt. In: Rhetorik und Sprachkunst
bei Thomas Bernhard. Hg. v. Joachim Knape u. O. K. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann
2011, S. 105 â 122.
93 Dazu ausfĂŒhrlich Clemens Götze: Der geehrte Autor und die Kunst der Invektive. Zu Thomas
Bernhards Meine Preise. In: Studia austriaca 20 (2012), S.Â
55 â 84; Martin Huber: âbeinahe alles
falschâ? Dichtung und Wahrheit in Thomas Bernhards Meine Preise. In: Text + Kritik (42016),
H. 43, S. 10 â 28.
94 Stocker: Bernhard und die literarische Landschaft Ăsterreichs (Anm. 87), S. 298.
95 Wolfram Bayer: Das Gedruckte und das TatsÀchliche. RealitÀt und Fiktion in Thomas Bernhards
Leserbriefen. In: Thomas Bernhard. BeitrÀge zur Fiktion der Postmoderne. Londoner Symposion.
Unfreundliche Betrachtungen: EinwÀnde gegen die
Literaturkritik90
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471