Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Page - 115 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 115 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Image of the Page - 115 -

Image of the Page - 115 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Text of the Page - 115 -

zitierten ‚DĂŒrre‘ des Theaters (nur vom „dĂŒrren Verstandesunterricht des Schul- tyrannen“ 193). Zudem weist Musil in seinem Essay, ganz gegen Bernhards Lesart, gleich eingangs darauf hin, dass er an den „Zustand“, „den sie den Untergang des Theaters nennen“, nicht „glaube“, weil es sich um den „latente[n] Zustand eines Daueruntergangs“ handle, in dem sich das Theater „seit Menschengeden- ken hĂ€uslich eingerichtet“ habe.194 Wie in anderen Reflexionen Bernhards, die sich explizit mit literarischen und/oder philosophischen Positionen auseinander- setzen, kann man guten Gewissens davon ausgehen, dass er nur wenig Zeit mit intensivem und philologisch akkuratem Quellenstudium verbracht hat  – dem polemischen Drive seiner „wĂŒtende[n] Suada“ 195 tut dies freilich keinen Abbruch, zumal er ja selbst listig bekennt, sein Statement lasse den fĂŒr eine Feuilleton- debatte „unbedingt notwendige[n] Ernst“ vermissen (TBW 22.1, 613): eine Geste, die die eigene Überlegenheit wie die Distanzierung vom Gegenstand der Debatte gleichermaßen suggeriert. Bemerkenswert und aufschlussreich ist Bernhards Essay Ist das Theater nicht mehr, was es war?, der mit zahlreichen rhetorischen Figuren und Wiederholungs- strukturen arbeitet, indes noch aus einem weiteren Grund, der fĂŒr die Analyse polemischen Agierens im literarischen Feld von nicht unwesentlicher Bedeutung ist: Weil die fĂŒr ihn attraktive Position des polemischen Kommentators bereits von den Kritikern besetzt ist, die den Zustand des Theaterbetriebs beklagen, ĂŒber- zeichnet Bernhard deren kritische EinwĂ€nde, um sie im Gestus des Satirikers zu desavouieren. So treibt er die Phrase, wonach das Theater nicht mehr sei, ‚wie es einmal gewesen‘, virtuos auf die Spitze: Aber das Theater und insbesondere das Drama war ja, behaupte ich, schon zu Lebzeiten der griechischen Tragiker nicht mehr das, was es einmal war, auch zu ihren (der griechischen Tragiker) Zeiten herrschte absolut eine DĂŒrre, und es herrschte schon die DĂŒrre des Dramas, bevor ĂŒberhaupt ein einziger Mensch, ein einziges Gehirn, ein einziger Kopf (welch ein Wahnsinn!) auf die Idee gekommen war, ein Drama zu schreiben und ein Theater zu machen. (TBW 22.1, 612 f.) Bernhard hat recht: Von der ‚DĂŒrre des Dramas heute‘ schrieben bereits in den zwanziger Jah- ren Robert Musil und Alfred Kerr.“ 193 Musil: Der „Untergang“ des Theaters (Anm.  73), S.  1126. Auf diese Stelle in Musils Essay ver- weist auch der Kommentar in TBW 22.1, 819. Zum VerhĂ€ltnis von Bernhard und Musil vgl. jetzt Marion Schmaus: Literarische Rezeption. In: Robert-Musil-Handbuch. Hg. v. Birgit NĂŒbel u. Norbert Christian Wolf. Berlin, Boston: de Gruyter 2016, S.  825 – 854, hier S.  842 – 844. 194 Musil: Der „Untergang“ des Theaters (Anm.  73), S.  1116 f. Zu Musils TĂ€tigkeit als Theaterkritiker vgl. Oliver Pfohlmann: Literatur- und Theaterkritik. In: Robert-Musil-Handbuch (Anm.  193), S.  414 – 429, sowie die grundlegende Studie von Nicole Streitler: Musil als Kritiker. Bern u. a.: Lang 2006. 195 Töteberg: Die DĂŒrre der Theaterlandschaft (Anm.  187), S.  65. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 115 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
back to the  book Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik"
Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Strategen im Literaturkampf