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zitierten âDĂŒrreâ des Theaters (nur vom âdĂŒrren Verstandesunterricht des Schul-
tyrannenâ 193). Zudem weist Musil in seinem Essay, ganz gegen Bernhards Lesart,
gleich eingangs darauf hin, dass er an den âZustandâ, âden sie den Untergang
des Theaters nennenâ, nicht âglaubeâ, weil es sich um den âlatente[n] Zustand
eines Daueruntergangsâ handle, in dem sich das Theater âseit Menschengeden-
ken hĂ€uslich eingerichtetâ habe.194 Wie in anderen Reflexionen Bernhards, die
sich explizit mit literarischen und/oder philosophischen Positionen auseinander-
setzen, kann man guten Gewissens davon ausgehen, dass er nur wenig Zeit mit
intensivem und philologisch akkuratem Quellenstudium verbracht hat â dem
polemischen Drive seiner âwĂŒtende[n] Suadaâ 195 tut dies freilich keinen Abbruch,
zumal er ja selbst listig bekennt, sein Statement lasse den fĂŒr eine Feuilleton-
debatte âunbedingt notwendige[n] Ernstâ vermissen (TBW 22.1, 613): eine Geste,
die die eigene Ăberlegenheit wie die Distanzierung vom Gegenstand der Debatte
gleichermaĂen suggeriert.
Bemerkenswert und aufschlussreich ist Bernhards Essay Ist das Theater nicht
mehr, was es war?, der mit zahlreichen rhetorischen Figuren und Wiederholungs-
strukturen arbeitet, indes noch aus einem weiteren Grund, der fĂŒr die Analyse
polemischen Agierens im literarischen Feld von nicht unwesentlicher Bedeutung
ist: Weil die fĂŒr ihn attraktive Position des polemischen Kommentators bereits
von den Kritikern besetzt ist, die den Zustand des Theaterbetriebs beklagen, ĂŒber-
zeichnet Bernhard deren kritische EinwÀnde, um sie im Gestus des Satirikers zu
desavouieren. So treibt er die Phrase, wonach das Theater nicht mehr sei, âwie
es einmal gewesenâ, virtuos auf die Spitze:
Aber das Theater und insbesondere das Drama war ja, behaupte ich, schon zu Lebzeiten
der griechischen Tragiker nicht mehr das, was es einmal war, auch zu ihren (der
griechischen Tragiker) Zeiten herrschte absolut eine DĂŒrre, und es herrschte schon
die DĂŒrre des Dramas, bevor ĂŒberhaupt ein einziger Mensch, ein einziges Gehirn,
ein einziger Kopf (welch ein Wahnsinn!) auf die Idee gekommen war, ein Drama zu
schreiben und ein Theater zu machen. (TBW 22.1, 612 f.)
Bernhard hat recht: Von der âDĂŒrre des Dramas heuteâ schrieben bereits in den zwanziger Jah-
ren Robert Musil und Alfred Kerr.â
193 Musil: Der âUntergangâ des Theaters (Anm. 73), S. 1126. Auf diese Stelle in Musils Essay ver-
weist auch der Kommentar in TBW 22.1, 819. Zum VerhÀltnis von Bernhard und Musil vgl. jetzt
Marion Schmaus: Literarische Rezeption. In: Robert-Musil-Handbuch. Hg. v. Birgit NĂŒbel u.
Norbert Christian Wolf. Berlin, Boston: de Gruyter 2016, S. 825 â 854, hier S. 842 â 844.
194 Musil: Der âUntergangâ des Theaters (Anm.Â
73), S.Â
1116 f. Zu Musils TĂ€tigkeit als Theaterkritiker
vgl. Oliver Pfohlmann: Literatur- und Theaterkritik. In: Robert-Musil-Handbuch (Anm.Â
193),
S. 414 â 429, sowie die grundlegende Studie von Nicole Streitler: Musil als Kritiker. Bern u. a.:
Lang 2006.
195 Töteberg: Die DĂŒrre der Theaterlandschaft (Anm. 187), S. 65.
Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 115
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471