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Haltung verkaufen.â 207 Freilich ist die VerstĂ€ndigung der beiden Autoren ĂŒber
den missliebigen Kritiker, den Handke einige Jahre zuvor noch als Mitarbeiter
einer Zeitschrift gewinnen wollte,208 in diesem Fall durchaus heikel: Siegfried
Schobers Rezension im Spiegel polemisiert nicht nur vehement gegen Borns
BuchÂ
â so ist etwa von âverpoetisierte[m] Literatenwehwehâ 209 die RedeÂ
â, son-
dern sie beginnt auch mit folgendem Satz: âĂber weite Strecken liest sich die-
ser Roman wie eine unglĂŒckselige Epigonenvariante einiger Standardmotive
Peter Handkes, die der schon gröĂtenteils ĂŒberwunden hat.â 210 Dass Handke
den Roman seines Freundes in der ZEIT selbst ambivalent besprochen hat-
te,211 kam nicht unbedingt erleichternd hinzu. Zwar attestierte Born seinem
ungleich prominenteren, aber fĂŒnf Jahre jĂŒngeren Kollegen, einen âungeheuer
gute[n], genaue[n] und hellsichtige[n] Aufsatzâ ĂŒber Die erdabgewandte Seite
der Geschichte geschrieben zu haben, âdem ich weder mit Lob noch mit Dank
gerecht werden kannâ,212 er musste aber auch die âEinschrĂ€nkungenâ Handkes
zur Kenntnis nehmen.213 Angesichts eines gemeinsamen AuĂenfeinds jedoch
versicherte Handke dem zerknirschten Freund seine nachdrĂŒckliche SolidaritĂ€t:
âWas fĂŒr eine Horde von Gesindelâ, hatte er schon gut eineinhalb Jahre zuvor
Alfred Kolleritsch als Aufmunterung nach einer negativen Rezension mit auf
den Weg gegeben.214
In FĂ€llen wie diesen birgt die Doppelrolle als Autor und Kritiker ein gewis-
ses Konflikt- und Irritationspotential in sich. Gleichwohl hat gerade sie sich bei
Handke als produktiv im Sinne der Reflexion ĂŒber das VerhĂ€ltnis von Literatur
und Kritik erwiesenÂ
â ein VerhĂ€ltnis, mit dem er sich intensiv (und sehr viel ein-
gehender als sein Antipode Bernhard) beschĂ€ftigt hat. Von seiner âIdealâ-Vor-
stellung, Kritiker sollten âim Bestfall genaue Leserâ sein,215 ist Handke dabei ĂŒber
207 Handke an Born, 14. 10. 1976. In: ebd.
208 Vgl. Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm.Â
2), S.Â
104, 117 u.Â
121 â 124. Zu Handkes Zeitschriften-
projekt vgl. Kap. V, Abschnitt ââKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut
FĂ€rberâ.
209 Siegfried Schober: Schriftsteller intim. Nicolas Born: Die erdabgewandte Seite der Geschichte.
In: Der Spiegel, Nr. 41, 4. 10. 1976, S. 230 â 231, hier S. 231.
210 Ebd., S. 230.
211 Vgl. Peter Handke: Gegen den tiefen Schlaf. Nicolas Borns zweiter Roman: Die erdabgewandte
Seite der Geschichte. In: DIE ZEIT, Nr.Â
42, 8. 10. 1976; wieder abgedruckt in P. H.: Das Ende des
Flanierens (Anm. 62), S. 107 â 119.
212 Born an Handke, 11. 10. 1976. In: Born/Handke: Die Hand auf dem Brief (Anm. 205), S. 16.
213 Ebd., S. 15. Erst spĂ€ter, nach Borns Tod, hat Handke den Freund auch literarisch als âeine[ ]
meiner Instanzenâ bezeichnet (Handke: Gestern unterwegs [Anm. 16], S. 76).
214 Handke an Kolleritsch, 23. 1. 1975. In: Handke/Kolleritsch: Schönheit ist die erste BĂŒrgerpflicht
(Anm. 202), S. 81.
215 Die vollstĂ€ndige Passage lautet: âKritiker sind ja im Bestfall genaue Leser. Zumindest ist das
mein Ideal.â (MĂŒller: Im GesprĂ€ch mit Peter Handke [Anm. 14], S. 65)
Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 119
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471