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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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War Thomas Bernhard im November 1978 eine „BĂŒcherverbrennung“ angesichts der Angriffe auf seine Person (im Rahmen einer abgebrochenen Lesung an der UniversitĂ€t MĂŒnchen) als „ein geradezu symbolischer Akt“ erschienen,299 bedient sich Handke im Folgenden eines Ă€hnlich absurden Vergleichs, um das destruk- tive Moment der Literaturkritik durch eine historische Analogie zu erhellen: „Hört auf, von der BĂŒcherverbrennung der Nationalsozialisten zu reden  – ihr tut das gleiche immer noch, auf eure Weise, unauffĂ€lliger, aber genauso vorsĂ€tzlich, und kommt dazu straflos davon.“ 300 Obschon diese Ebene des Vergleichs in der Folge beiseitegelassen wird  – nur der Vorwurf des ‚Totalitarismus‘ taucht erneut auf  –, bleibt der Ton der Rede doch aggressiv, wobei Handke auch vor harschen Invektiven nicht zurĂŒckschreckt: Der sogenannte „Raum“, den jene Zeitung „fĂŒr Deutschland“ angeblich den BĂŒchern gibt, ist das Gegenteil von einem Raum: Er ist ein stickiges, luftloses HenkerstĂŒbchen, vollgepfercht mit bieder-wahnsinnigen Unholden und ihren ehrsĂŒchtigen, selbst- vergessenen Mietlingen. Kritiker zu sein könnte ein guter, lehrreicher, VergnĂŒgen bescherender Beruf sein; eine genaue, erzĂ€hlende, aufschlĂŒsselnde und wiederum verschlĂŒsselnde Besprechung eines Buches, ob mit Liebe oder mit Zorn verfaßt, zu lesen, hat mir schon oft Freude gemacht, oft das Hirn zum GlĂŒhen gebracht, ja mich sogar gerĂŒhrt und begeistert. Aber es gibt schon lange kaum Kritiker mehr  – nur noch gutbezahlte Angestellte, die sich aufspielen, und immer fĂŒr sich selber, und immer gegen jemand andern; und die hellen Streitspiele sind zum bloßen Gegeneinander- Ausspielen verkĂŒmmert.301 In der Denunziation des Status quo scheint  – wie so oft in Handkes Polemiken  – als Gegenbild das Ideal eines „genaue[n], erzĂ€hlende[n]“ Rezensierens durch, das den Beruf des Kritikers zu einem positiven, ja lustvollen TĂ€tigwerden im Namen der Literatur werden ließe. Anstatt die emotionale Affektion beim Lesen („Liebe“, „Zorn“, „Freude“ etc.), anstatt das ‚Erlebnis der LektĂŒre‘ zu beschreiben, seien die prominenten Kritiker im Feuilleton der FAZ mit der Demonstration von Deutungsmacht und literaturbetrieblicher RankĂŒne beschĂ€ftigt. Drei Jahre 299 Bernhard an Unseld, 29. 11. 1978. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel (Anm.  11), S.  550: „Ich glaube, der Schritt von der gewalttĂ€tigen Behinderung einer (in diesem Falle meiner) mit dem umgekehrten Gastrecht geohrfeigten Person  – und die UnterdrĂŒckung war ja mehr oder weniger eine brutal-physische, wie Sie gesehen haben  – bis zur Vernichtung dieser Person (und ihrer Arbeit), ist kurz. Dagegen wĂ€re die BĂŒcherverbrennung ein geradezu symbolischer Akt.“ Franz Xaver Kroetz und seine „Leute“, die er fĂŒr die Störung der MĂŒnchner Lesung verantwort- lich machte, erinnerten Bernhard „an die MĂŒnchner Nazis“. Vgl. dazu den Kommentar ebd., S.  547 – 551. 300 Handke: Einwenden und Hochhalten (Anm.  287), S.  126 f. 301 Ebd., S.  127. Unfreundliche Betrachtungen: EinwĂ€nde gegen die Literaturkritik136 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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