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eigene Arbeitâ so âbereitwillig weiterverbreitet hatâ,50 ohne sie im Zuge dessen
durch eine entschiedene Gegendarstellung einzuhegen und zu entkrÀften. In
der ausfĂŒhrlichen Einleitung des Bandes begrĂŒndet Reich-Ranicki seine Ent-
scheidung folgendermaĂen:
Ein Gebot der Fairness schien es mir daher, diese Sammlung, die achtzehn Verrisse enthÀlt,
mit einem VerriĂ meiner eigenen Arbeit abzuschlieĂen: Ich habe (wenn auch nicht ohne
Ăberwindung) den schĂ€rfsten und radikalsten ausgewĂ€hlt, den ich finden konnte. Peter
Handke und dem Suhrkamp-Verlag sei fĂŒr die Abdruck-Genehmigung bestens gedankt.51
Noch in seiner 1999 erschienenen Autobiographie Mein Leben hat Reich- Ranicki
die Aufnahme von Handkes âschĂ€rfste[r] und radikalste[r] kritische[r] Ver-
urteilung meiner eigenen Arbeitâ in den Band Lauter Verrisse als âBeitrag zum
GesprĂ€ch ĂŒber deutsche Literatur und Kritik in jenen Jahrenâ bezeichnet.52 Eine
Deutung, wonach âReich-Ranickis Feindschaftâ gegenĂŒber Handke auf dessen
âSatire ĂŒber das naive Realismus- und NatĂŒrlichkeitsgetue des Starkritikers
zurĂŒck[gehe]â,53 verschreibt sich vor diesem Hintergrund zu stark der Perspektive
des Schriftstellers, obschon das vermeintliche Diskussionsangebot des âGroĂkriti-
kersâ hier wohl zuallererst dessen souverĂ€ne Position der StĂ€rke demonstrieren
sollte: Nur wer sich seiner Sache ausreichend sicher ist, lÀsst seinen Wider sacher
auf diese Weise als Gegenstimme zu Wort kommen. An Selbstbewusstsein man-
gelte es dem Kritiker jedenfalls nicht.
Zuletzt ist auch folgendes Detail in Lauter Verrisse zu erwÀhnen, das ein etwas
anderes Licht auf die âBereitwilligkeitâ des Kritikers wirft: Im Dezember 1967
hatte Reich-Ranicki in einer Rezension von Martin Walsers Die Zimmerschlacht
angemerkt, Walser habe âjene Konsequenz gefehlt, die man einem BĂŒhnenautor
wie Peter Handke nicht absprechen kannâ, was man mit einigem guten Willen
als positive Resonanz auf Handkes Theaterarbeiten deuten kann.54 Im Wieder-
abdruck der Besprechung von 1970 jedoch ergÀnzte der Kritiker die Passage um
eine Parenthese, die die Distanz zu Handke betont: Walser habe âjene Konse-
quenz gefehltâ, heiĂt es nun, âdie man einem BĂŒhnenautor wie Peter Handke,
was immer man von seinen Arbeiten denken mag, nicht absprechen kannâ.55
50 Wittstock: Marcel Reich-Ranicki (Anm. 15), S. 250 f.
51 Marcel Reich-Ranicki: Nicht nur in eigener Sache. Bemerkungen ĂŒber Literaturkritik in Deutsch-
land. In: M. R.-R.: Lauter Verrisse (Anm. 49), S. 7 â 45, hier S. 45.
52 Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben. Stuttgart: DVA 31999, S. 444.
53 Höller: Peter Handke (Anm. 28), S. 45 f.
54 Marcel Reich-Ranicki: War es ein Mord? Martin Walsers Zimmerschlacht in MĂŒnchen insze-
niert von Fritz Kortner. In: DIE ZEIT, Nr. 50, 15. 12. 1967.
55 Reich-Ranicki: Lauter Verrisse (Anm. 49), S. 146.
âMein Feind in Deutschlandâ: Peter Handke vs. Marcel
Reich-Ranicki154
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471