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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Page - 155 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

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Reich-Ranickis fast durchwegs negative Rezensionen zu Handkes BĂŒchern  – eine Ausnahme bildete sein wohlwollender Kommentar zum Versuch ĂŒber den geglĂŒckten Tag (1991) im Literarischen Quartett, und auch die Tormann-ErzĂ€hlung (1970) und den Kurzen Brief zum langen Abschied (1972) scheint er einigermaßen geschĂ€tzt zu haben 56  – waren zwar von persönlicher Antipathie geprĂ€gt, die durch die Wider reden des Autors noch zusĂ€tzlich Nahrung erhielt. Sie können aber, wie mir scheint, kaum auf die polemische ‚Urszene‘ des Jahres 1968 reduziert werden, zumal der Kritiker diese recht abgeklĂ€rt zu entschĂ€rfen verstanden hatte. Obschon auf einem persön- lichen Konflikt fußend, der mit der ersten Konfrontation in Princeton 1966 seinen Ausgang nahm, sind Reich-Ranickis Verrisse von Handkes Texten doch einem bestimmten, gleichwohl zu dieser Zeit Ă€sthetisch ĂŒberholten Konzept von Litera- tur verpflichtet, das ihm auch in anderen FĂ€llen  – und zum Missfallen zahlreicher Autorinnen und Autoren  – als Maßstab seiner Kritiken diente.57 Franz Josef Czernin hat dies, selbst ohne besondere Sympathie fĂŒr Handkes „Gegenpolemik“,58 Mitte der 1990er Jahre mit wenig schmeichelhaftem Unterton pointiert zusammengefasst: Reich-Ranickis Kritiken sind viel systematischer, als er ahnt und wissen will; seine Form literaturkritischer Vernunft hat so viel Methode wie nur irgendein Wahn. Daß er selbst das Systematische hĂ€ufig als fĂŒr den Kritiker schĂ€dliche Befangenheit bezeich- net, verschlĂ€gt dabei nichts. Das ist nur die bezeichnende Geste des antitheoretischen Pragmatikers, der seine Theorieblindheit damit bezahlt, daß er von bestimmten Annahmen geleitet wird, ohne es wahrhaben zu wollen.59 56 In seiner Kritik von Wunschloses UnglĂŒck bezeichnete Reich-Ranicki 1972 Die Angst des Tor- manns beim Elfmeter immerhin als „durchaus beachtlich[  ]“, den Kurzen Brief als zumindest „stellenweise virtuos[  ]“ (Marcel Reich-Ranicki: Die Angst des Peter Handke beim ErzĂ€hlen. In: DIE ZEIT, Nr.  37, 15. 9. 1972). 57 Perram: Peter Handke (Anm.  36), S.  74, hat dies auf eine wohl zu einfache Formel gebracht: „Marcel Reich-Ranicki’s critiques are conservative; his favourite target is the avant-garde.“ Überzeugender scheint hingegen seine kurz darauf formulierte EinschĂ€tzung des Kritikers: „Handke does fail to point out that Reich-Ranicki is in many ways an astute critic. Much of what he has to say about literature demonstrates his ability to accurately perceive the nature and complexity of a work. However, this obvious ability tends to dangerously obscure the fact that he has subordinated his perception to a rigid, and in many ways, outmoded system of cri- ticism and evaluation.“ (Ebd., S.  79)  – Vgl. dagegen Lorenz: Die Öffentlichkeit der Literatur (Anm.  25), S.  19, der betont, Reich-Ranicki habe als Literaturkritiker „entschieden subjektiv“ geurteilt, „dabei aber keinen festen literarĂ€sthetischen Standpunkt“ eingenommen; ebenso argumentieren Volker Hage/Mathias Schreiber: Marcel Reich-Ranicki. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1995, S.  115: „Ein geschlossenes System, eine umfassende Theorie wird man bei ihm nicht finden. Damit möchte er auch gar nicht dienen.“ 58 Czernin: Marcel Reich-Ranicki (Anm.  39), S.  53. Handke biete als Gegenentwurf zu den „Klischees Reich-Ranickis vor allem eine Reihe von Antithesen“ auf, „die insofern selbst klischeehaft sind, als sie als unvermittelte Behauptungen jenen Reich-Ranickis einfach entgegengesetzt werden“ (ebd.). 59 Ebd., S.  18. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 155 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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