Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Page - 158 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 158 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Image of the Page - 158 -

Image of the Page - 158 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Text of the Page - 158 -

die Rede sein.70 Nicht nur attestiert er dem Autor in einem Schnelldurchlauf durch das bisherige ƒuvre, mit Die Hornissen und Der Hausierer im Grunde „indiskutable Prosa“ vorgelegt zu haben, sondern konstatiert auch ein Schei- tern seines aktuellen ErzĂ€hlprojekts, das nach dem Kurzen Brief zum langen Abschied (1972), „seinem auf jeden Fall besten Buch“,71 einen veritablen RĂŒck- schritt in Handkes kĂŒnstlerischer Entwicklung darstelle: Der Autor habe sich, so Reich-Ranicki, zwar mittlerweile von seiner frĂŒheren „hochgestochene[n] Wichtig tuerei“ verabschiedet, seine Texte litten gleichwohl noch immer an einem Übermaß unfruchtbaren „Theoretisieren[s]“: „[I]mmer wieder“ zeigten sich in Wunschloses UnglĂŒck „allerlei Hemmungen und Skrupel eines Schriftstellers“, „der leider allzuviel theoretisiert und der sich offenbar sehr Ă€ngstigt, was er schreibt, könne als unmodern abgetan werden.“ 72 Dementsprechend stĂ¶ĂŸt sich der Kritiker gerade an jenen metanarrativen Passagen der ErzĂ€hlung, die seine Hoffnung, Handke sei nun (endlich) „an einer mehr oder weniger realistischen Schilderung gelegen“, nur zu deutlich enttĂ€uschen mussten.73 Nimmt man die abschließende Wendung der Rezension in den Blick, kann sie freilich auch in toto als verspĂ€tete  – und im Vergleich zum selbstbewussten Wiederabdruck 1970 weniger konziliante  – Antwort auf Handkes NatĂŒrlichkeits-Essay verstan- den werden. In einer fĂŒr seine literaturkritische Praxis typischen Verquickung von Autor-Psychologie und bildungsbĂŒrgerlichem Klassiker-Zitat 74 konstatiert Reich-Ranicki im letzten Absatz: Wenn er nur seine Ă€sthetischen Gewissensbisse und seine vielen theoretischen Hem- mungen ĂŒberwinden wollte und unverkrampft und natĂŒrlich erzĂ€hlen könnte. Denn 70 Vgl. dazu, mit genauem Blick auf die kontrĂ€ren Ă€sthetischen Positionen der beiden Akteure, Perram: Peter Handke (Anm.  36), S.  77: „Reich Ranicki’s critique of Handke’s Wunschloses UnglĂŒck  [
] contains ample material to justify Handke’s attack on Reich-Ranicki’s critical method.“ 71 Reich-Ranicki: Die Angst des Peter Handke beim ErzĂ€hlen (Anm.  56). In den Sammelband Ent- gegnung. Zur deutschen Literatur der siebziger Jahre (1979) hat Reich-Ranicki die Rezension unter dem leicht abweichenden Titel Die Angst des Dichters beim ErzĂ€hlen (S.  315 – 322) aufgenommen. 72 Reich-Ranicki: Die Angst des Peter Handke beim ErzĂ€hlen (Anm.  56). Werner Graf: Peter Handke und seine Kritiker. Zu Motiven der Rezeption von Gegenwartsliteratur. In: Literatur fĂŒr Leser 27 (2004), H.  2, S.  89 – 101, hier S.  95, der an mancher Stelle zu emphatisch Partei fĂŒr Handke ergreift, spricht allgemein von einer verbreiteten „Theoriefeindlichkeit“ der Handke- Rezeption im Feuilleton. 73 Reich-Ranicki: Die Angst des Peter Handke beim ErzĂ€hlen (Anm.  56). 74 Reich-Ranickis Anspielung auf die letzte Strophe von Schillers BĂŒrgschaft könnte auch als Replik auf die adaptierte Gretchen-Frage in Handkes Essay gedeutet werden, wo es heißt: „Zu seinen wohl wichtigsten Kritikschablonen gehören die normativen SĂ€tze ĂŒber die Wirklichkeit: die PrĂŒfungsfrage fĂŒr die Schriftsteller lautet: ‚Nun sag, wie hast du’s mit der Wirklichkeit?‘“ (Handke: Marcel Reich-Ranicki und die NatĂŒrlichkeit [Anm.  2], S.  203) „Mein Feind in Deutschland“: Peter Handke vs. Marcel Reich-Ranicki158 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
back to the  book Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik"
Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Strategen im Literaturkampf