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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Handke bezieht sich hier auf eine Episode aus dem Jahr 1968, die dazumal fĂŒr einige Aufregung im Literatur- und Kulturbetrieb gesorgt hatte: Rolf Dieter Brinkmann hatte bei einer Veranstaltung der Berliner Akademie der KĂŒnste mit der Vorstellung gespielt, den missliebigen Kritiker auf offener BĂŒhne mit einem Maschinengewehr niederzuschießen.97 Indem er Reich-Ranicki mitteilt, er könne Brinkmanns dama- ligen „Ekel“ angesichts der „in strotzender Routine röchelnden SekundĂ€rliteraten“ durchaus nachvollziehen, wiederholt Handke gewissermaßen dessen sechs Jahre zurĂŒckliegende Attacke  – und rechnet den Adressaten seines Briefes auf diesem Umweg zur Riege der routinierten und „materiell erfolgreich[en]“ Journalisten. „Es ist schade“, so Handkes Fazit in seinem Brief vom 29.  April 1975, daß Sie ĂŒber Brinkmann in Schemata wie Reife x Unreife schreiben  
 Es lag mir daran, Ihnen das zu sagen, eher traurig, und enttĂ€uscht. Beim Tod Brinkmanns habe ich einen Verlust gespĂŒrt und spĂŒre ihn immer noch. Wann kann man das sagen? Viele GrĂŒĂŸe, Ihr Peter Handke 98 Die lose Arbeitsbeziehung der beiden war ein gutes Jahr spĂ€ter immer noch intakt (ein Beitrag ĂŒber Heimito von Doderer fĂŒr die FAZ war in Planung), bis sich Handke im Juni 1976 angesichts eines Artikels von Reich-Ranicki ĂŒber Wolfgang Koeppen ein weiteres Mal zu einer polemischen Attacke herausgefordert sah  – einer Attacke, die zum endgĂŒltigen Bruch zwischen den beiden Kontrahenten fĂŒhrte. Das Schriftbild des im Nachlass des Kritikers im Deutschen Literatur- archiv in Marbach erhaltenen Briefes verweist nur zu deutlich auf die Erregung, ja auf den heiligen „Zorn“ 99 seines Verfassers: 97 Vgl. die Dokumentation von Raimund Fellinger: „Ich bin kein TeppichknĂŒpfer“. In: Berlin, 17.  Novem- ber 1968. Autoren diskutieren mit ihren Kritikern. Thomas Bernhard diskutiert mit Rudolf Hartung. Mattighofen: Korrektur 2017, S.  35 – 39.  – Dirk Niefanger: Rolf Dieter Brinkmanns Poetik der Selbst- inszenierung. In: MedialitĂ€t der Kunst. Rolf Dieter Brinkmann in der Moderne. Hg. v. Markus Fauser. Bielefeld: transcript 2011, S.  65 – 82, hat darauf hingewiesen, dass, weil Tonband- oder Videoaufzeich- nungen der Veranstaltung fehlen, „geradezu erschreckend unterschiedliche Varianten“ (S.  68) der Brinkmann’schen Äußerung kursieren. Er deutet diese aber  – im Gegensatz zu Reich-Ranicki  – als „weder barbarisch noch gefĂ€hrlich“, „sondern schlicht als eine wohl ĂŒberlegte medial abgestimmte Selbstinszenierung“ des Autors (S.  71). Vgl. dazu Wittstock: Marcel Reich-Ranicki (Anm.  15), S.  252; Andrea Bandeili: Rolf Dieter Brinkmann und Peter Handke um ’68. Der Skandal als Akt der Revolte? In: Skandalautoren. Zu reprĂ€sentativen Mustern literarischer Provokation und Aufsehen erregender Autorinszenierung. Bd.  2. Hg. v. Andrea Bartl u. Martin Kraus. Unter Mitarb. v. Kathrin Wimmer. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2014, S.  53 – 67. 98 Handke an Reich-Ranicki, 29. 4. 1975 (Anm.  92). 99 Peter Handke: Das Gewicht der Welt. Ein Journal (November 1975  – MĂ€rz 1977). Salzburg: Residenz 1977, S.  260.  – Unter dem Datum des Briefes an Reich-Ranicki selbst findet sich nur „Mein Feind in Deutschland“: Peter Handke vs. Marcel Reich-Ranicki164 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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