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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Frau‘ offeriert er nun ein Journal mit dem anspruchsvollen Titel ‚Das Gewicht der Welt‘, das spontane Aufzeichnungen zweckfreier Wahrnehmungen enthĂ€lt.“ 117 Aus seiner vehementen Ablehnung des kurz zuvor im Salzburger Residenz Ver- lag erschienenen Bandes Das Gewicht der Welt machte Reich-Ranicki keinen Hehl. Ihm galt, ebenso wie anderen Rezensenten,118 die radikale Introspektion des Journals, die „Reportage eines Einzel-Bewußtseins, veröffentlicht als Buch“,119 als Irrweg eines narzisstischen Autors, die von Handke forcierte „Befreiung von gegebenen literarischen Formen“ als bemĂŒhter, aber unproduktiver Ansatz.120 In einer Notiz zu einem GesprĂ€ch mit Peter Handke im Juni 1978 hielt Siegfried Unseld die tiefsitzende Verletzung des Autors gerade angesichts von Reich- Ranickis Kritik der LinkshĂ€ndigen Frau fest, die gut eineinhalb Jahre nach der Veröffentlichung offensichtlich immer noch sehr prĂ€sent war: Und dann, nach einigen GlĂ€sern Wein, Ă€ußerte sich bei ihm ein Haß gegen die Bundes- republik, ein Land, das zu nichts mehr fĂ€hig sei, ein Kadaver, eine vom Erdbeben verwĂŒstete Gegend.  [
] Und sofort fĂŒgte er hinzu: in der Bundesrepublik ist GrĂ¶ĂŸe nicht mehr möglich. Auslösender Moment fĂŒr diesen Haß ist die Behandlung seiner ‚LinkshĂ€ndigen Frau‘, die Behandlung des Buches durch die ‚FAZ‘ und die Behand- lung des Filmes durch die Kritiker.121 Ende der 1970er Jahre schließlich sollte sich das VerhĂ€ltnis zwischen Handke und Reich-Ranicki in einer Weise zuspitzen, die deshalb besondere Aufmerk- samkeit verdient, weil die Eskalation der Beziehung zwischen Autor und Kriti- ker mit einer grundlegenden Neuausrichtung von Handkes Schreiben zusam- menfĂ€llt. Sie verlĂ€uft zudem parallel zur Entzweiung zwischen Handke und Thomas Bernhard, dessen autobiographische BĂ€nde Reich-Ranicki im April 1978 zu „den großen literarischen Dokumenten unserer siebziger Jahre“ rechnete.122 117 Marcel Reich-Ranicki: Deutsche Literatur 1977. Ein Überblick aus Anlaß der Frankfurter Buch- messe. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 10. 1977. 118 Vgl. etwa Ulrich Greiner: Peter Handke und das GlĂŒcksgefĂŒhl, eine Flasche Mineralwasser anschauen zu können. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. 10. 1977; Hans Christoph Buch: Der vollkommene Schauspieler. Über Peter Handke: Das Gewicht der Welt. In: Der Spiegel, Nr.  37, 5. 9. 1977, S.  197 – 201; Reinhold Tauber: Ein Talent macht Pause. Ein „Journal“ lĂ€ĂŸt erken- nen: Peter Handke tritt auf der Stelle. In: Oberösterreichische Nachrichten, 5. 10. 1977. 119 Handke: Das Gewicht der Welt (Anm.  99), S.  6. 120 Ebd., S.  5. Vgl. dazu Hage/Schreiber: Marcel Reich-Ranicki (Anm.  57), S.  108: „Das Skizzenhafte und Ungeordnete dieses Werks [i. e. Das Gewicht der Welt] war Reich-Ranickis Sache nicht.“ 121 Unseld: Peter Handke, 23.  Juni 1978. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm.  60), S.  346 f. 122 Marcel Reich-Ranicki: In entgegengesetzter Richtung. [1978] In: M. R.-R.: Thomas Bernhard. AufsĂ€tze und Reden. Mit Fotografien v. Barbara Klemm. ZĂŒrich: Ammann 1990, S.  43 – 58, hier S.  58. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre 169 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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