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Kritiker auf die in Wunschloses UnglĂŒck (1972) geschilderte Herkunft des Autors
aus einfachen VerhÀltnissen an. Wenn Reich-Ranicki ausgerechnet Handke als
potentiellen Verfasser des Vorworts nennt, ist das zudem als eine Spitze gegen
dessen AffinitĂ€t zu einer Literatur des lĂ€ndlichen Raums zu verstehenÂ
â Handke
hatte Mitte der 1970er Jahre ErzÀhlungen des österreichischen Autors Franz Nabl
im Residenz Verlag herausgegeben, Reich-Ranicki den Abdruck von Handkes Vor-
wort in der FAZ, wie bereits zitiert, mit Blick auf die mangelnde Bekanntheit Nabls
in Deutschland abgelehnt. Handke galt dem Kritiker wohl seitdem als Statthalter
von Autoren wie Rosegger oder Nabl im zeitgenössischen literarischen Feld.155
Die Lehre der Sainte-Victoire tauchte 1980 im offiziellen Suhrkamp-Herbst-
programm nicht auf. Ăberdies hatte der Verlag auf Wunsch Handkes keine
Rezensionsexemplare des Buches versendet.156 Wie schon bei Langsame Heim-
kehr war dem Autor daran gelegen, sich den AblÀufen und Konventionen des
Literaturbetriebs demonstrativ zu verweigern: âEr will viele Leser, aber keine
professionellenâ,157 hatte Siegfried Unseld im April des Jahres in seinem Reise-
bericht festgehalten. Die Idee, die Lehre der Sainte-Victoire durch den Verzicht
auf Rezensionsexemplare der literaturkritischen Kommentierung zu entziehenÂ
â
âUnd ich bitte noch einmal, zu beachten, daĂ es keine Besprechungsexemplare
geben soll, fĂŒr niemandenâ 158Â â, lieĂ sich freilich nicht realisieren: Die âstille
Programmatikâ 159 des Buches stieĂ im Feuilleton auf geteiltes Echo; scharfzĂŒn-
gige Bemerkungen wie jene von W. Martin LĂŒdke, man werde âsich halt daran
gewöhnen mĂŒssen, Handke und seinen Heiligenschein kĂŒnftig immer zusammen
zu sehenâ,160 waren keine Seltenheit. LĂŒdke Ă€uĂerte freilich auch die Vermutung,
155 In seiner Vorbemerkung zur Neuausgabe von Franz Michael Felders Autobiographie bezieht sich
Handke 1985 u. a. auf den âWaldbauernbub Peter Roseggerâ (Peter Handke: Zu Franz Michael
Felder. In: Franz Michael Felder: Aus meinem Leben. Mit einer Vorbemerkung v. Peter Handke
u. einem Nachwort v. Walter Methlagl. Salzburg, Wien: Residenz 1985, S. 5 â 6, hier S. 5).
156 Vgl. N. N.: Geheim-Werk von Peter Handke. In: Der Spiegel, Nr.Â
37, 8. 9. 1980, S.Â
184. Der Vor-
wurf, den Manfred Durzak: Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur. NarziĂ auf
Abwegen. Stuttgart u. a.: Kohlhammer 1982, S.Â
13, darauf aufbauend konstruiert hat, ist durch-
aus perfide, weil er die Verweigerung Handkes gerade als gröĂtmögliche Affirmation deutet:
âDie Tatsache, daĂ Handke seinem Verlag untersagte, Rezensionsexemplare seines Buches âDie
Lehre der Sainte-Victoireâ zu verschicken, daĂ er sich jegliche Werbung fĂŒr die âLinkshĂ€ndige
Frauâ verbat, sind ja nur indirekte BestĂ€tigungen der ĂŒbergroĂen Bedeutung, die der Literatur-
betrieb fĂŒr ihn hat. Und prompt haben sich diese Restriktionen ja auch eher verkaufsfördernd
als -hemmend ausgewirkt.â
157 Unseld: Reisebericht, 5./6.Â
April 1980. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm.Â
60), S.Â
399.
158 Handke an Unseld, 5. 8. 1980. In: ebd., S. 416.
159 Uwe Schultz: Die Suche nach dem reinen Augenblick. Peter Handke: Die Lehre der Sainte-
Victoire. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 11. 10. 1980.
160 W. Martin LĂŒdke: Der heilige Handke? Peter Handkes erzĂ€hlende Poetik Die Lehre der Sainte-
Victoire. In: Frankfurter Rundschau, 25. 10. 1980.
Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 177
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471