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[I]ch merkte, wie dann [âŠ] eine Stauwand in ihm brach. Und dann kam es auch
heraus: Er âhaĂteâ unsere, und er meinte damit meine, âverbrĂŒdernde, zersetzende,
krebserregendeâ Umarmung mit den MedienpĂ€psten. Es war ja klar, wer gemeint
war, obschon er den Namen nicht aussprechen kann. [âŠ] Vielleicht mĂŒĂten wir sie
machen, aber er wolle das nicht, und deswegen meinte er, ein Selbstverlag sei fĂŒr ihn
doch das beste. Und als Höhepunkt seiner Anklage kam der Vorwurf, daà ich mich
an der besagten Festschrift beteiligt hÀtte. Ich verneinte dies, aber er glaubte es nicht.
Er wisse ganz genau, daà ich beteiligt sei. Ich sagte ihm, das Buch kÀme ja im nÀchs-
ten Monat heraus und er wĂŒrde sehen: kein Beitrag von mir.234
Bei jener âFestschriftâ handelt es sich um den Band Literatur und Kritik, den
Walter Jens 1980 anlÀsslich von Reich-Ranickis 60. Geburtstag herausgab. Er
enthielt, trotz Handkes gegenteiliger Vermutung, zwar zahlreiche Artikel lite-
rarischer Kolleginnen und Kollegen, von Martin Walser ĂŒber Siegfried Lenz bis
Sarah Kirsch, aber keinen Beitrag des Verlegers.235
Die sich anbahnende Krise war damit aber keineswegs abgewendet, zumal
Handkes Misstrauen gegenĂŒber der LoyalitĂ€t seines Verlegers auf einer fatalen
Entdeckung beruhte: âIch betrat das Haus des Verlegers, und der Stuhl, auf dem
ich saĂ, war in meinem Wahn oder Nichtwahn noch heiĂ von dem Kritiker, der
fĂŒnf Minuten vorher da war, auf Vernichten ausâ, hat Handke sich noch 2004
im Zuge einer Rede in memoriam Siegfried Unseld erinnert.236 1979, im Jahr
der Publikation von Langsame Heimkehr, war Handke in Unselds BĂŒro auf ein
Widmungsexemplar des Reich-Ranicki-Bandes Entgegnung gestoĂen, in dem
der Kritiker die vernichtenden Besprechungen von Wunschloses UnglĂŒck und
Die linkshÀndige Frau erneut abgedruckt hatte.237 Handke deutete den Umstand,
dass Unseld und Reich-Ranicki miteinander in freundlichem Einvernehmen
234 Unseld: Reisebericht Salzburg, 5./6. April 1980. In: ebd., S. 400.
235 Vgl. Literatur und Kritik. Aus AnlaĂ des 60. Geburtstages von Marcel Reich-Ranicki hg. v.
Walter Jens. Stuttgart: DVA 1980. Dazu weiter Unseld: Reisebericht Salzburg, 5./6.Â
April 1980.
In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm.Â
60), S.Â
400: âEr glaubte es nicht. Es dauerte wie-
der eine halbe Stunde, bis er sich ausgeredet hatte, ich konnte ihn gewiĂ mit meinem Einreden
nicht ĂŒberzeugen, aber vielleicht hatte er etwas mehr VerstĂ€ndnis fĂŒr meine Haltung.â
236 Peter Handke: Vom Singular und vom Plural. Rede zur Verleihung des Siegfried-Unseld- Preises
am 28. September 2004 im Holzhausenpark. In: P. H.: Meine Ortstafeln. Meine Zeittafeln
(Anm. 46), S. 425 â 430, hier S. 427.
237 Vgl. Marcel Reich-Ranicki: Entgegnung. Zur deutschen Literatur der siebziger Jahre. Stutt-
gart: DVA 1979, S. 315 â 322 (Die Angst des Dichters beim ErzĂ€hlen) u. 322 â 329 (Wer ist hier
infantil?). In die Neuauflage des Bandes von 1981 wurde unter dem Titel Sein Weg zu Gott
zusÀtzlich die Besprechung von Langsame Heimkehr aufgenommen. Vgl. ders.: Entgegnung.
Zur deutschen Literatur der siebziger Jahre. Erweiterte Neuausgabe. Stuttgart: DVA 1981,
S. 403 â 411. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 191
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471