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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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ĂŒber die Handlungsarmut eines Handke’schen Textes lustig: „Sagen Sie mal, was steht in dem Buch drin? Obwohl ich’s gelesen habe, hĂ€tte ich’s gern von Ihnen gewusst.“ 251 Hatte Reich-Ranicki gar jene kurze Szene, in der, an Robert Musils Hasenkatastrophe erinnernd, ein „grazile[r], edelköpfige[r] Hund“ einen wehr- losen Hasen zur Strecke bringt, bevor dieser „blutnaß“, mit „erschlaffende[n] Pfoten, noch ein wenig zuckend“, vom Ort der Gewalt weggebracht wird,252 auf sich bezogen, und das womöglich zu Recht? Hellmuth Karaseks Hinweis, er habe im Versuch ĂŒber die MĂŒdigkeit eine „fast Thomas Bernhard’sche Stelle“ entdeckt, quittierte Reich-Ranicki jedenfalls umgehend und energisch mit der Ermahnung, Karasek solle „die Namen großer Schriftsteller nicht unnĂŒtz im Munde fĂŒhren“.253 Bernhard, wenige Monate zuvor verstorben, stand bei Reich- Ranicki sehr viel höher im Kurs als dessen Antipode; der Kritiker spielte die beiden Autoren des Öfteren zu Ungunsten des JĂŒngeren gegeneinander aus. Es lohnt sich, die Beziehung zwischen Bernhard und Reich-Ranicki als Kontrast folie kurz genauer in den Blick zu nehmen. ZunĂ€chst durchaus skep- tisch, weil „Bernhards Reflexionen“, so Reich-Ranickis Besprechung von Unge- nach (1968), „meist zwar radikal, aber zugleich etwas banal“ seien 254 und der Autor zudem an einem „Mangel an schriftstellerischer Selbstdisziplin“ laborie- re,255 brachte er Thomas Bernhard und dessen Literatur im Laufe der Jahre immer grĂ¶ĂŸere Sympathie entgegen. Bereits 1965 hatte er den Autor gebeten, eine in der Neuen Rundschau publizierte ErzĂ€hlung in die Anthologie Erfundene Wahrheit aufnehmen zu dĂŒrfen: „[W]enn Ihnen meine ErzĂ€hlung ‚Der Zimmerer‘ gefallen hat, so möchte ich sie Ihnen gerne fĂŒr ein Buch, das Sie im Piper-Verlag heraus- geben, ĂŒberlassen“, willigt Bernhard am 19.  MĂ€rz 1965 brieflich ein.256 In einem 251 Reich-Ranicki: Peter Handke, Versuch ĂŒber die MĂŒdigkeit (Anm.  249), 24:00 – 24:07; vgl. Das Literarische Quartett. Bd.  1 (Anm.  249), S.  181. 252 Handke: Versuch ĂŒber die MĂŒdigkeit (Anm.  226), S.  63 f. 253 Reich-Ranicki: Peter Handke, Versuch ĂŒber die MĂŒdigkeit (Anm.  249), 32:19 – 32:27; vgl. Das Literarische Quartett. Bd.  1 (Anm.  249), S.  183 f. 254 Marcel Reich-Ranicki: Finstere Wollust aus Österreich. Die ErzĂ€hlungen des Thomas Bernhard. In: DIE ZEIT, Nr.  43, 25. 10. 1968. 255 Marcel Reich-Ranicki: Leichen im Ausverkauf. In: DIE ZEIT, Nr.  51, 19. 12. 1969. Der Autor neige, so Reich-Ranicki mit Blick auf Bernhards Publikationen des Jahres 1969 (Watten bei Suhrkamp, An der Baumgrenze bei Residenz sowie Ereignisse im Verlag des Literarischen Colloquiums), zu „leichtfertige[m] Publizieren“, was zum Gestus eines „ErzĂ€hler[s], der sich offenbar gegen fixe Ideen und Obsessionen wehren muß und der seine Ziele mit monomanischer Unbedingt- heit verfolgt“, in Widerspruch stehe. 256 Thomas Bernhard an Marcel Reich-Ranicki, 19. 3. 1965. In: Deutsches Literaturarchiv Marbach, Handschriftensammlung, A: Reich-Ranicki, HS.2003.0002.00153: „Ich arbeite jetzt an einer Prosaarbeit, die mich, ausser, wenn ich mich dagegen wehre, vollkommen in Anspruch nimmt, und habe keine Zeit, andere kĂŒrzere StĂŒcke anzuschauen und eventuell zu korrigieren und so muss ich es beim Zimmerer lassen.“ Siehe Thomas Bernhard: Der Zimmerer. In: Erfundene Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 195 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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