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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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hinaus“, so Handke im Herbst 1988 zu AndrĂ© MĂŒller.284 Kurz zuvor hatte er  – die aggressive SchmĂ€hung des â€žĂŒbelsten Monstrums, das die deutsche Literaturbe- triebsgeschichte je durchkrochen hat“,285 aus dem Februar 1981 aufgreifend  – eine negative Rezension des Kritikers zur „Suada des gemeindummen Monsters von Frankfurt“ erklĂ€rt, ohne das Monster beim Namen zu nennen;286 der EmpfĂ€nger des Briefes, Alfred Kolleritsch, wusste jedenfalls, wovon (nicht) die Rede war. Reich-Ranicki setzte derweil auf kleinere Sticheleien, indem er Handke bei- lĂ€ufig in anderen Rezensionen auftreten ließ. In einem 1988 veröffentlichten Artikel zur Entwicklung des Theaters in den Vereinigten Staaten etwa fĂŒhrt der Kritiker seinen Kontrahenten in einer illustren Reihe alternder Dramatiker an: [W]enn sie etwas Ă€lter werden, dann sind sie des unentwegten Trubels und ihres meist etwas unseriösen GeschĂ€fts ĂŒberdrĂŒssig. Sie verstummen (wie Shakespeare), sie wen- den sich der Mystik zu (wie Gogol), sie schießen sich in den Kopf (wie Raimund), sie werden fromm (wie Handke), sie gehen zum Fernsehen (wie Kroetz).287 Die AufzĂ€hlung, die Reich-Ranicki hier vornimmt, mutet schon auf den ers- ten Blick recht kurios an, beging doch, um nur dieses eine Beispiel weiter zu verfolgen, Ferdinand Raimund 1836 keineswegs aus Überdruss gegenĂŒber dem Theaterbetrieb Selbstmord, sondern aus Angst, nach dem Biss eines Hundes an Tollwut erkrankt zu sein. Die Liste diente dem Kritiker aber jedenfalls dazu, erneut seiner Überzeugung, Handke habe sich Ende der 1970er Jahre der 284 MĂŒller: Im GesprĂ€ch mit Peter Handke (Anm.  112), S.  65. Vgl. auch Federmair: Die ApfelbĂ€ume von Chaville (Anm.  218), S.  202: „Scheu wie er ist, hĂ€lt sich der Autor zurĂŒck, vor allem bei direkten Benennungen; den Namen Reich-Ranicki nimmt er nicht einmal im lockeren GesprĂ€ch in den Mund, auch nicht Jahrzehnte nach den vorgefallenen Streitigkeiten.“  – Handkes Absicht, den Namen Reich-Ranickis demonstrativ zu verschweigen, findet seine Entsprechung in Helmut HeißenbĂŒttels Nachruf bei Lebzeiten (1988) auf den namentlich ausdrĂŒcklich nicht genannten Kritiker: „Ich habe versucht, seinen Namen auszusparen, wie ich ihn jetzt ausspare. Das ist bei einem so allgegenwĂ€rtigen Schriftsteller nicht so einfach, aber auch wieder nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick erscheint.“ (HeißenbĂŒttel: Nachruf bei Lebzeiten [Anm.  82], S.  27 f.)  – Als komplementĂ€re Strategie kann Handkes Beharren auf der Nennung vergessener, aus dem Fokus medialer Aufmerksamkeit gerĂŒckter Personen gelten, etwa in einer kurzen ErzĂ€hlung aus dem Umfeld der Jugoslawien-Texte: „[I]mmer wieder sei dieser Name erwĂ€hnt, damit er sich einprĂ€ge ĂŒber die AktualitĂ€ten hinaus“ (Peter Handke: Die Geschichte des Dragoljub Milanović. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2011, S.  13). 285 Handke an Unseld, 25. 2. 1981. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm.  60), S.  431. 286 Handke an Kolleritsch, 15. 1. 1987. In: Handke/Kolleritsch: Schönheit ist die erste BĂŒrgerpflicht (Anm.  12), S.  161. 287 Marcel Reich-Ranicki: Ein amerikanisches Welttheater. [1988] In: M. R.-R.: Über Amerikaner. Von Hemingway und Bellow bis Updike und Philip Roth. MĂŒnchen: DVA 2004, S.  137 – 152, hier S.  137. „Mein Feind in Deutschland“: Peter Handke vs. Marcel Reich-Ranicki202 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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