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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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zu ihrem Gegenstand zu wahren.337 Hier klingt jene Anschuldigung nach, die Reich-Ranicki knapp 20  Jahre zuvor in der Rezension von Langsame Heimkehr ins Treffen gefĂŒhrt hatte: Die Kritiker hĂ€tten sich, so die bereits zitierte maliziöse Metarezension von 1979, Handkes Buch „meist kniend“ genĂ€hert, „also in einer Position, die weder das Denken noch das Schreiben begĂŒnstigt“.338 In der Geschichte des Apothekers von Taxham schildert Handke indes eine deutlich versöhnlichere Hunde-Szene als in der Niemandsbucht: Dem Protago- nisten des Romans begegnet auf seinem Weg durch die spanische Steppe, weitab von der Zivilisation, ein „herrenloser Hund“, „der in einem Erdloch lebte und ihn, erst fletschend, dann seine Finger ableckend, eine lange Zeitlang begleitete“.339 Auf den von Rezensenten wie Reich-Ranicki formulierten Vorwurf, seine Figuren blieben deshalb blass, weil er die Auskunft darĂŒber, ob sie „jung oder alt, dĂŒnn oder dick“ seien,340 beharrlich verweigere, lĂ€sst Handke den ErzĂ€hler des Romans antworten, als dieser sich am Ende doch an einer Ă€ußerlichen Beschreibung des Apothekers versucht: „Ich weiß nicht, warum es mir seit jeher widerstrebt hat, Leute, ihre Gesichter, ihre Körper, zu beschreiben, vor allem mit irgendwelchen Eigenheiten, und ich derartige Beschreibungen, wie gekonnt immer, auch mit Mißbehagen lese, so als gehörten sie sich nicht.“ 341 Wenig ĂŒberraschend fand Reich-Ranicki daran und an zahlreichen anderen Aspekten von In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus wenig Gefal- len. Hatte er sich im Literarischen Quartett gleich eingangs ĂŒber den umstĂ€nd- lichen Titel des Romans lustig gemacht, gestand er diesem im Zuge seines launigen Kommentars zwar zu, nicht „so furchtbar schlecht wie die Niemandsbucht“ zu 337 Marcel Reich-Ranicki: Peter Handke, In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus im Literarischen Quartett [ZDF], Nr.  48, 25. 4. 1997. In: https://www.youtube.com/watch?v=4qjcY ax9Mw0 (Stand 14. 10. 2020), 10:12 – 10:38; vgl. Das Literarische Quartett. Bd.  2 (Anm.  249), S.  600. Gerade in den Debatten um Handke sind, wie Anz: Literaturkritisches Argumentations- verhalten (Anm.  334), S.  415 u.  425, gezeigt hat, „Meta-Argumente gehĂ€uft anzutreffen“, d. h. „Aussagen, die sich auf den Zustand und die Funktion der Institution Literaturkritik allgemein beziehen“. Zu Reich-Ranickis Agieren als „Meta-Kritiker“ siehe Dittberner: Der Mann in der Arena (Anm.  272), S.  17. 338 Reich-Ranicki: Peter Handke und der liebe Gott (Anm.  129). 339 Peter Handke: In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus. Roman. Frankfurt  a.  M.: Suhrkamp 1997, S.  235. 340 Reich-Ranicki: Peter Handke und der liebe Gott (Anm.  129). 341 Handke: In einer dunklen Nacht (Anm.  339), S.  300. Eine ĂŒberzeugende, weil ĂŒberaus detailliert am Text argumentierende Interpretation des Romans, die „deutliche Parallelen“ der ErzĂ€hl- anlage „zum mittelalterlichen Epos“ aufzeigt, findet sich in Carstensen: Romanisches ErzĂ€hlen (Anm.  216), S.  281 – 295, Zit. S.  286. Das Bekenntnis, „Beschreibungen von Gesichtern“ seien ihm „seit jeher zuwider“ gewesen, findet sich noch in Die Obstdiebin, Handkes wiederholt als ‚letztes Epos‘ angekĂŒndigtem Prosabuch aus dem Jahr 2017 (Peter Handke: Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere. Berlin: Suhrkamp 2017, S.  107). Unversöhnt: letzte Gefechte 213 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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