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zu ihrem Gegenstand zu wahren.337 Hier klingt jene Anschuldigung nach, die
Reich-Ranicki knapp 20Â
Jahre zuvor in der Rezension von Langsame Heimkehr
ins Treffen gefĂŒhrt hatte: Die Kritiker hĂ€tten sich, so die bereits zitierte maliziöse
Metarezension von 1979, Handkes Buch âmeist kniendâ genĂ€hert, âalso in einer
Position, die weder das Denken noch das Schreiben begĂŒnstigtâ.338
In der Geschichte des Apothekers von Taxham schildert Handke indes eine
deutlich versöhnlichere Hunde-Szene als in der Niemandsbucht: Dem Protago-
nisten des Romans begegnet auf seinem Weg durch die spanische Steppe, weitab
von der Zivilisation, ein âherrenloser Hundâ, âder in einem Erdloch lebte und ihn,
erst fletschend, dann seine Finger ableckend, eine lange Zeitlang begleiteteâ.339
Auf den von Rezensenten wie Reich-Ranicki formulierten Vorwurf, seine Figuren
blieben deshalb blass, weil er die Auskunft darĂŒber, ob sie âjung oder alt, dĂŒnn
oder dickâ seien,340 beharrlich verweigere, lĂ€sst Handke den ErzĂ€hler des Romans
antworten, als dieser sich am Ende doch an einer Ă€uĂerlichen Beschreibung des
Apothekers versucht: âIch weiĂ nicht, warum es mir seit jeher widerstrebt hat,
Leute, ihre Gesichter, ihre Körper, zu beschreiben, vor allem mit irgendwelchen
Eigenheiten, und ich derartige Beschreibungen, wie gekonnt immer, auch mit
MiĂbehagen lese, so als gehörten sie sich nicht.â 341
Wenig ĂŒberraschend fand Reich-Ranicki daran und an zahlreichen anderen
Aspekten von In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus wenig Gefal-
len. Hatte er sich im Literarischen Quartett gleich eingangs ĂŒber den umstĂ€nd-
lichen Titel des Romans lustig gemacht, gestand er diesem im Zuge seines launigen
Kommentars zwar zu, nicht âso furchtbar schlecht wie die Niemandsbuchtâ zu
337 Marcel Reich-Ranicki: Peter Handke, In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus
im Literarischen Quartett [ZDF], Nr.Â
48, 25. 4. 1997. In: https://www.youtube.com/watch?v=4qjcY
ax9Mw0 (Stand 14. 10. 2020), 10:12 â 10:38; vgl. Das Literarische Quartett. Bd. 2 (Anm. 249),
S.Â
600. Gerade in den Debatten um Handke sind, wie Anz: Literaturkritisches Argumentations-
verhalten (Anm. 334), S. 415 u. 425, gezeigt hat, âMeta-Argumente gehĂ€uft anzutreffenâ, d. h.
âAussagen, die sich auf den Zustand und die Funktion der Institution Literaturkritik allgemein
beziehenâ. Zu Reich-Ranickis Agieren als âMeta-Kritikerâ siehe Dittberner: Der Mann in der
Arena (Anm. 272), S. 17.
338 Reich-Ranicki: Peter Handke und der liebe Gott (Anm. 129).
339 Peter Handke: In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus. Roman. FrankfurtÂ
a.Â
M.:
Suhrkamp 1997, S. 235.
340 Reich-Ranicki: Peter Handke und der liebe Gott (Anm. 129).
341 Handke: In einer dunklen Nacht (Anm.Â
339), S.Â
300. Eine ĂŒberzeugende, weil ĂŒberaus detailliert
am Text argumentierende Interpretation des Romans, die âdeutliche Parallelenâ der ErzĂ€hl-
anlage âzum mittelalterlichen Eposâ aufzeigt, findet sich in Carstensen: Romanisches ErzĂ€hlen
(Anm. 216), S. 281 â 295, Zit. S. 286. Das Bekenntnis, âBeschreibungen von Gesichternâ seien
ihm âseit jeher zuwiderâ gewesen, findet sich noch in Die Obstdiebin, Handkes wiederholt als
âletztes Eposâ angekĂŒndigtem Prosabuch aus dem Jahr 2017 (Peter Handke: Die Obstdiebin oder
Einfache Fahrt ins Landesinnere. Berlin: Suhrkamp 2017, S. 107).
Unversöhnt: letzte Gefechte 213
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471