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Erscheinung getreten;4 nun suchte er mit groĂer âpublizistischer Energieâ 5 nach
neuen Herausforderungen.
Ziel von Handkes BemĂŒhungen war es nicht zuletzt, sich als neuer Autor des
Frankfurter Suhrkamp Verlags intensiver (und medial sichtbarer) als bisher auch
in die bundesdeutschen Literaturdebatten der Zeit einzubringen. Texte wie die
am 12. Juni 1967 im Spiegel gedruckte Besprechung des Sammelbandes Wochen-
ende erfĂŒllten fĂŒr ihn in der Folge eine doppelte Funktion: Indem er die Auto-
rinnen und Autoren der âKölner Schuleâ um Dieter Wellershoff dafĂŒr kritisierte,
ihre âlĂ€ngst ĂŒberholten Methoden nicht [zu] erkennenâ und âgedankenlose[ ]
Satzformenâ 6 zu verwenden â er sich also ostentativ von Konkurrenten und
Konjunkturen im literarischen Feld distanzierteÂ
â, lĂ€sst sich der Verriss auch als
impliziter Kommentar zu seinen eigenen literarischen Arbeiten, als Argumenta-
tion pro domo,7 verstehen, zumal die Formulierungen mit Passagen in Handkes
poetologischen Reflexionen korrespondieren: âWas lĂ€Ăt diese in Einzelheiten
doch recht sensiblen Autoren auf literarische Schemata hereinfallen? Es ist die
Schreibmethode, die diese Arbeiten so unergiebig macht. Ergebnisse bleiben
deswegen aus, weil die literarische Methode verbraucht ist.â 8
Der im selben Jahr entstandene Essay Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms
widmet sich gleichfalls der Frage, auf welche Weise literarische Verfahren âWirk-
lichkeitâ modellieren und verarbeiten. Im Zentrum des Textes steht die Forde-
rung nach einer ihre eigenen Methoden reflektierenden und kritisch prĂŒfenden
Literatur, als deren ErfĂŒllung er sogleich sein eigenes Schreiben prĂ€sentiert. âDie
Methode mĂŒĂte alles bisher GeklĂ€rte wieder in Frage stellen, sie mĂŒĂte zeigen,
daà es noch eine Möglichkeit der Darstellung der Wirklichkeit gibt, nein, daà es
noch eine Möglichkeit gab: denn diese Möglichkeit ist dadurch, daà sie gezeigt
wurde, auch schon verbraucht worden.â 9 Nimmt der Schriftsteller Handke fĂŒr
sich in Anspruch, sich stets auf der Suche nach einer weiteren noch möglichen
4 Vgl. Peter Handke: Ror Wolf: Fortsetzung des Berichts. In: Wort in der Zeit 11 (1965), S.Â
59 â 60.
5 Otto Lorenz: Literatur als Widerspruch. Konstanten in Peter Handkes Schriftstellerkarriere.
In: Text + Kritik (51989), H. 24, S. 8 â 16, hier S. 9.
6 Peter Handke: Bei Abschied Regen. Ăber den Sammelband Wochenende. In: Der Spiegel, Nr.Â
25,
12. 6. 1967, S.Â
112 â 113, hier S.Â
113; auch in: P. H.: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. Frank-
furt a. M.: Suhrkamp 1972, S. 191 â 194.
7 Vgl. Otto Lorenz: Pro domo â Der Schriftsteller als Kritiker. Zu Peter Handkes AnfĂ€ngen. In:
Literaturkritik â Anspruch und Wirklichkeit. DFG-Symposion 1989. Hg. v. Wilfried Barner.
Stuttgart: Metzler 1990, S. 399 â 414, hier S. 400: âPro domo zu sprechen â das ist, seit Lessing
spÀtestens, die Hauptfunktion der Literaturkritik der Autoren, die selber versuchen, den Reso-
nanzraum fĂŒr das Wirkungspotential ihrer Texte zu schaffen.â
8 Handke: Bei Abschied Regen (Anm. 6), S. 112.
9 Peter Handke: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. [1967] In: P. H.: Ich bin ein Bewohner
des Elfenbeinturms (Anm. 6), S. 19 â 28, hier S. 21 f.
Peter Handkes Gegenmodelle zur zeitgenössischen
Literaturkritik222
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471