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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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geben  [
], das Sehen und nicht nur Wiedererkennen ist“,23 liegt auch der Poe- tik und dem literaturkritischen Anforderungskatalog des jungen Peter Handke zugrunde.24 Bereits der „BĂŒcherecke“-Feuilletonist fĂŒhrt, wenn er Eichenbaums Darstellung referiert, „die Beschreibung des Regens“ als Beispiel an; sie könne in einer modernen Literatur „nicht mehr als Vorspiel zu der Beschreibung eines Liebesszene“ dienen.25 Die Verbindungen zwischen den von Handke rezipierten literaturtheoretischen EntwĂŒrfen des Formalismus und der eigenen Rezensions- praxis sind kaum zu ĂŒbersehen  – geht die Besprechung von Wellershoffs Wochen- ende-Band doch von der Kritik am „Wettergesetz der Literatur“ aus, dem zufolge es, so Handkes pointierte Beobachtung, „bei einem BegrĂ€bnis in der Regel reg- net“.26 Friedrich Christian Delius, ein Jahr jĂŒnger als Handke und wie dieser einer der vielversprechenden jungen Autoren im literarischen Feld Deutschlands, sollte wenige Jahre spĂ€ter in seiner Berliner Dissertation das Wetter als „Kunstmittel“ im Roman des bĂŒrgerlichen Realismus untersuchen. Der Untertitel von Delius’ Studie, der neben dem „Kunstmittel“ auch seinen „ideologische[n] Gebrauch“ in den Blick zu nehmen verspricht, deutet jedoch bereits an, dass das Erkennt- nisinteresse bei den beiden Schriftstellern sich nicht unbedingt deckte: Dem in der linken Studentenbewegung verwurzelten Delius war es auch um politische, nicht bloß um sprachĂ€sthetische Lesarten literarischer Texte zu tun.27 Die skizzierten Prinzipien von Handkes Rezensionspraxis gelten dann in Ă€hnlicher Weise auch fĂŒr das eigene literarische Schreiben: Das formalistische Diktum, ein Ă€sthetisch wertvoller Text zeichne sich durch eine „Komplizierung der Form“ und eine damit einhergehende „Verfremdung“ der beschriebenen 23 Viktor Ć klovskij: Kunst als Kunstgriff. [1916] In: V. S.: Theorie der Prosa (Anm.  15), S.  7 – 27, hier S.  14. 24 „Analytisches Vokabular“ verwendet Handke dabei, so Christoph Bartmann: Suche nach Zusammenhang. Handkes Werk als Prozeß. Wien: BraumĂŒller 1984, S.  129, „vor allem zur Aufdeckung Manier gewordener narrativer Klischees“. Vgl. dazu Lorenz: Pro domo (Anm.  7), S.  410: „Er wollte, mit immer neuen SchreibansĂ€tzen, die ‚Macht‘ der im menschlichen Leben tief verwurzelten Automatismen brechen, die Schemata des Lebens kenntlich machen, um sich von ihnen zu befreien.“ 25 Handke: „BĂŒcherecke“ vom 11. 10. 1965 (Anm.  17), S.  244. 26 Handke: Bei Abschied Regen (Anm.  6), S.  112. Einige Jahre spĂ€ter ist Handke in einem Inter- view mit GĂŒnther Nenning noch einmal auf diesen Aspekt zurĂŒckgekommen. Vgl. GĂŒnther Nenning: Warum ich jetzt Geschichten schreibe. [GesprĂ€ch mit Peter Handke.] In: Neue Freie Presse (1973), H.  4, S.  7: „Da haben Schriftsteller halt das Wochenende beschrieben, und auto- matisch kam das Klischee, daß die Sonne scheint, daß Autos gewaschen werden, daß es nach Sonnenöl riecht, und einmal war halt eine Liebesgeschichte, eine traurige, da hat’s natĂŒrlich geregnet. Es hat ja schon Tolstoi gesagt, daß bei trauriger Liebe immer Regen ist in der Litera- tur. Das ist ein Montieren von Klischees.“ 27 Friedrich Christian Delius: Der Held und sein Wetter. Ein Kunstmittel und sein ideologischer Gebrauch im Roman des bĂŒrgerlichen Realismus. MĂŒnchen, Wien: Hanser 1971. „Aber ich bin kein Kritiker“ 225 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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