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fĂŒr die MĂŒnchner Abendzeitung (August 1967) oder den Briefwechsel zwischen
Ludwig Wittgenstein und Ludwig von Ficker fĂŒr die NĂŒrnberger Nachrichten
(Dezember 1969).32 Viel stÀrker als Bernhard, der seine TÀtigkeit als Redak-
teur des Demokratischen Volksblatts zum Zeitpunkt seines schriftstellerischen
Durchbruchs lĂ€ngst aufgegeben hatte und spĂ€ter nur noch einmal als âKritikerâ
auftrat, brachte sich Handke parallel zu seinen ersten literarischen Erfolgen
selbst als Rezensent ein. Er erprobte Formen und Möglichkeiten literatur- und
filmkritischen Schreibens â freilich stets mit dem Vorbehalt, nicht als Profi
oder SachverstÀndiger in diesem Bereich zu agieren bzw. agieren zu wollen:
âAber ich bin kein Kritikerâ, lautet die einschlĂ€gige Formel, die der Autor 1967
an das Ende eines offenen Briefs an Henning Rischbieter, den Herausgeber der
Zeitschrift Theater heute, gesetzt 33 und noch 40 Jahre spÀter im GesprÀch mit
Michael Kerbler rekapituliert hat: â[I]ch bin ja kein Journalist, ich bin auch
kein Historiker, ich bin ein Schreiber oder Schriftsteller, wie auch immer Sie
das nennenâ.34 Diese Rhetorik der distinktiven Positionierung, der Betonung
der Nicht-Zugehörigkeit, ist fĂŒr Handkes erfolgreiche Durchsetzung im litera-
rischen Feld von entscheidender Bedeutung; nicht als Kritiker wahrgenommen
zu werden, war ihm ein groĂes Anliegen. Gleichwohl spielt die âArbeit des
Rezensierensâ, die er wiederholt als eine schwierige, ihm bis zu einem gewissen
Grad fremde beschrieben hat,35 fĂŒr Handkes Werkpolitik, zumal in den frĂŒhen
Jahren, eine zentrale Rolle â auch im Sinne einer VerstĂ€ndigung ĂŒber poeto-
logische Fragen. Dabei zeigt sich erneut, dass die âpolemischen Absetzbewe-
gungenâ Handkes,36 in diesem Fall jene von den Methoden der Literaturkritik,
stets in Verbindung mit seinen Reflexionen ĂŒber das eigene Schreiben, ĂŒber
die eigene literarische Praxis stehen.
32 Vgl. Peter Handke: Loch im Kopf. Der Erfolgsautor rezensiert eine Drogen-Dokumentation.
In: Abendzeitung, 25. 8. 1967 (âWieder einmal zeigt sich, daĂ man ĂŒber Rauschgift nicht lesen
kann: Man muĂ es NEHMENâ); ders.: âEin Buch fĂŒrs Lebenâ. Ăber die Briefe zwischen Ludwig
Wittgenstein und Ludwig von Ficker. In: NĂŒrnberger Nachrichten, 23. 12. 1969.
33 Peter Handke: Briefe ĂŒber Theater (1). In: Theater heute (1967), H. 2, S. 37.
34 ⊠und machte mich auf, meinen Namen zu suchen. Peter Handke im GesprÀch mit Michael
Kerbler. Klagenfurt: Wieser 2007, S. 29. Vgl. auch Peter Handke im GesprÀch mit Brita
Steinwendtner [Ă1, 1987]. In: Im GesprĂ€ch. Peter Handke 1987 2012. Interviews mit Wolfgang
Hofer, Brita Steinwendtner u. Michael Kerbler. 2 CDs. [Wien]: ORF 2012, CD 1, Track 20,
01:54 â 02:03: â[M]ir zumindest hilft das Gehen, damit ich die Anschauung wiedergewinne,
ohne die ich ĂŒberhaupt nicht schreiben könntâ, sonst wĂ€râ ich ein Kritiker oder irgend so ein
anderer Heiniâ.
35 Peter Handke an Hermann Lenz, 7. 10. 1986. In: P. H./H. L.: Berichterstatter des Tages. Briefwech-
sel. Hg. u. mit einem Nachwort v. Helmut Böttiger, Charlotte Brombach u. Ulrich RĂŒdenauer.
Mit einem Essay v. Peter Hamm. Frankfurt a. M.: Insel 2006, S. 221.
36 Rolf G. Renner: Peter Handke. Stuttgart: Metzler 1985, S. 24. âAber ich bin kein Kritikerâ 227
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471